Die drei Herren vom Grill

■  Drei alte Männer stehen an der Spitze des Abgeordnetenhauses. Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist keine Frau mehr unter den Parlamentspräsidenten, stattdessen eine Blockflöte

Die große Koalition legt den Rückwärtsgang ein: Drei Männer, die die 50 bereits überschritten haben, sind gestern an die Spitze des Abgeordnetenhauses gewählt worden. Damit ist zum ersten Mal seit 20 Jahren keine Frau mehr unter den höchsten Repräsentanten der Volksvertretung.

Bei CDU und SPD siegten bei der Nominierung der drei Kandidaten wieder innerparteiliches Kalkül und machtpolitische Erwägungen. In der Union hatten sich die Diepgen-kritischen Politiker Reinhard Führer und der frühere Gesundheitssenator Peter Luther durchgesetzt. Ausgerechnet eine Blockflöte wie Luther, der bereits 1963 in die DDR-CDU eintrat, vertritt nun den Ostteil der Stadt.

Mit der Bemerkung, „eine gute Diktatur ist das Richtige“, hatte der 57-Jährige vor vier Jahren Aufsehen erregt. Dies entsprang zwar Luthers Frustration über langwierige Entscheidungsprozesse, offenbarte aber zugleich mangelhaftes Demokratieverständnis.

Der 54-jährige gebürtige Österreicher Reinhard Führer amtierte bereits seit 1991 als Vizepräsident. Ihm hält die Opposition zugute, dass er sie in der Vergangenheit stets fair behandelt hat. Führer erhielt daher auch Stimmen von Grünen und PDS und erzielte mit 146 Jastimmen das beste Ergebnis. Luther fehlten mit 102 Stimmen sogar 16 Stimmen aus der großen Koalition.

Die SPD vergab das Vizepräsidentenamt des Parlaments als Trostpreis an ihren gescheiterten Spitzenkandidaten Walter Momper. Der 54-Jährige erhielt 121 Stimmen, also auch einige aus der Opposition. Gegen Führer und Momper spreche nichts, hatte die grüne Fraktionschefin Renate Künast erklärt. „Aber drei Männer über 50, das ist nicht 100 Prozent Berlin“, spielte sie auf den Wahlkampfslogan der Union an. „Keine Frau, keine Jugend, keine Erneuerung. So stellen wir uns die Repräsentanz des Parlaments nicht vor.“

Vergebens forderten Grüne und PDS, dass einer der beiden Vizeposten der stärksten Oppositionspartei zustehe. Bei den Regierungsparteien siegte das Primat der Postenverteilung über das Ideal eines pluralistisch besetzten Präsidententrios.

So war die Parlamentssitzung von gepflegter Langeweile und parteipolitischem Postengezänk geprägt – kein gutes Omen für die nächsten fünf Jahre. Die SPD unterwarf sich bereits konsequent der Koalitionsdisziplin und stimmte in allen Fragen nahezu geschlossen mit der CDU. Nur die Sitzordnung der noch amtierenden SPD-Senatoren Peter Strieder, Annette Fugmann-Heesing und Erhart Körting, die gestern auf ihren Abgeordnetenplätzen saßen, signalisierte: Noch steht die große Koalition nicht. Ein deutliches Zeichen im Koalitionspoker um Posten und Positionen.

Dennoch zockten CDU und SPD mit ihrer Zweidrittelmehrheit durch. Sie setzten die von der Opposition kritisierte Verteilung der Vizepräsidentenämter in der Geschäftsordnung des Parlaments durch und die Regelung, dass die Mitglieder des Verfassungsschutzausschusses künftig vom Parlament gewählt werden müssen. Dies hatte die Koalition bereits im Zuge der Parlamentsreform beschlossen. Künast kritisierte, dass die Regierungsparteien nun aussuchen könnten, welche Oppositionspolitiker als Kontrolleure des Geheimdienstes genehm sind.

Den Grünen, die im Halbrund des Parlaments auf Handtuchbreite geschrumpft sind, gelang es gestern, sich mit pointierten Redebeiträgen gegenüber der numerisch stärkeren PDS als führende Oppositionspartei zu profilieren.

Der grüne Fraktionschef Wolfgang Wieland attackierte scharf den SPD-Antrag, die erste Parlamentssitzung nach der Wahl des Präsidiums zu beenden. Doch vergebens. Die 20 Anträge der Opposition, darunter eine Verurteilung des Tschetschenien-Kriegs und ein Appell für die Gewährleistung des Demonstrationsrecht in der Innenstadt wurden gnadenlos vertagt. Dorothee Winden