Zwischen den Rillen
: Im Tempel des Rock

■ Neues von Rage Against The Machine, Stone Temple Pilots und Nine Inch Nails

Zweiter Frühling? Dritter Wind? Oder reiner Zufall? Schaut man sich an, was es dieser Tage an neuen amerikanischen Großrock-Alben gibt, bekommt man das Gefühl, dass sich einiges tut in Sachen Rock. Vor allem Bands, die sich seit Jahren nicht gerührt haben, Bands wie Rage Against The Machine, Nine Inch Nails und die Stone Temple Pilots, versichern sich ihrer Bedeutung in den Neunzigern. Da mag der Gedanke an die Rente eine Rolle spielen. Doch vielleicht geht es zum Millenniumswechsel auch um einen neuen Aufbruch.

Denn einverstanden scheinen sie alle nicht zu sein mit dem, was böse Jungs wie die Bloodhound Gang und Porn-Rocker wie Limp Bizkit oder Kid Rock gerade an Rockzauber veranstalten: Da schlägt das Establishment lieber zurück und pocht auf seine Definitionsmacht. Insbesondere „The Battle Of Los Angeles“, das neue Album von Rage Against The Machine, wirkt wie ein Backlash auf den Backlash, wie ein Fanal in einer Welt, in der politische Inkorrektheiten zum guten Ton gehören, in der die Kids mit rassistischen und homophoben Witzen ihre Hippie- und New-Wave-Eltern verschrecken. Rage Against The Machine sagen seit 1991 unermüdlich, was jeder weiß, aber zunehmend vergisst: Wie ungerecht alles ist, wie scheiße Rassismus ist, dass die Todesstrafe abgeschafft gehört, Abu Jamal unschuldig ist. Ohne Mission kein Rock: Für den Rage-Sänger Zack de la Rocha macht es nur Sinn in einer Band zu spielen, wenn ein politisches Anliegen dahinter steckt.

Dem darf man misstrauen: Rage Against The Machine sind bei einem Major unter Vertrag, verkaufen Abermillionen Platten, gehören zum Stamm des amerikanischen Rockzirkus.

Andererseits lässt die Band keine noch so abwegige Soliveranstaltung aus. Und Weltmeister im Veröffentlichen von Tonträgern sind sie auch nicht: „Battle Of Los Angeles“ ist erst ihr drittes Album. Nicht zuletzt weil De La Rocha seit 1995 mehrmals ins mexikanische Chiapas reiste, um dort seine Solidarität mit den Zapatisten zu bekunden. Was sich auf dem neuen Album in den Songs genauso wiederfindet wie andere bekannte aufrührerische Statements: „Born of a broken man, but not a broken man“ heißt es da, oder, adressiert an Abu Jamal: „We are at war until you are free“. Musikalisch sind die neuen Songs keine Offenbarung, zumindest nicht, wenn man Neuerungen erwartet. Das bekannte Vor und Zurück, der nüchterne Hardcore-Metal-Rap, der im Vergleich zu dem Designer-Crossover von Limp Bizkit aber ungeschliffen und erdig klingt. Alles echt und handgemacht: Da fügt sich trotz Woodstock, Lollapalooza und Sony eins zum anderen, Musik zum Text, die Band zu ihrer Politik und dem gerechten Engagement.

Ganz anderer Art dagegen die Sounds und Issues von Nine Inch Nails: Statt Sturm gegen die Maschine geht es hier um den Sturm mit und in den Maschinen. Nine Inch Nails ist die Ein-Mann-Band von Trent Raznor, einem großen Kontrollfetischisten und kleinen Wahnsinnigen (psychopathologisch mutmaßlich schizoaffektiv).

Raznor steht in einem ständigen Kampf mit sich und den Maschinen und hat diesen die Neunziger über MTV-kompatibel umgesetzt. Er sang Sachen wie „Das Ich, das du kennst, besteht nur aus Drähten“, berichtete von Ängsten wie, „dass mir das Wasser bis zum Hals steht, wenn ich in dieser sich immer weiter bewegenden Maschine lebe“, reicherte diese Terminatorik aber auch mit viel Blut, Schlamm und religiösem Quark an. Irgendwann wusste er wohl nicht mehr, was er da alles so trieb – kaufte das Haus, in dem Charles Manson Sharon Tate umbringen ließ, produzierte dort ein Album, komponierte den Soundtrack zu „Natural Born Killers“, entdeckte Marilyn Manson. Weswegen er für „The Fragile“ auch fünf Jahre brauchte. Erwartet als ultimatives Epos auf die Neunziger und später, ist das neue (Doppel!)-Album allerdings lediglich State of the Nine-Inch-Nails-Art: das fette, slicke, sleazy Industrial-Cyber-Zeugs eben. Eher Kiss als Neubauten, eher Klingeling, Klingelang als Noise, inhaltlich mehr beschäftigt mit der Aufarbeitung persönlicher Krisen (und daraus folgenden Verschmelzungsfantasien mit der Natur) als mit dem heroischen Kampf in und mit dem Cyber. Passt gut in ein Luxusappartement, animiert aber nicht zu Mordstreifzügen.

Hat Trent Raznor den Bogen gerade noch bekommen, sieht das bei dem Stone-Temple-Pilots-Sänger Scott Weiland eher übel aus: Der verabschiedete sich nach erfolgter Einspielung des vierten STP-Albums „No 4“ zum wiederholten Mal in eine Entzugsklinik.

Tragisch ist das sowieso, doch Weiland verleiht seiner Band so immer wieder die Weihen, die man ihr nie geben wollte: Als Plastikgrunger galten sie früher, als böse Ausverkäufer, nie als ehrlich leidende und rebellische Grunger. Genauso tragisch ist, dass das heute niemand mehr interessiert, dass „No 4“ auch ohne Authentizitäts-Zertifikate funktioniert: entspannte Songs wie „Sour Girl“ und „I Got You“, eine Herzschmerz-Ballade wie „Atlanta“, melodiöse Rocker, Stücke zum reuelosen Langhaar-Schütteln – Musik für Männer und Frauen mit Nerven, die feine Rockpackung für die Zigarette danach. Natürlich auch „nur“ state of the art, kein revolutionärer Aufbruch. Doch der Zugang zu Rock scheint ein neuer, frischer, unverstellter zu sein. Da will man vielleicht bald schneller, als einem lieb ist, mehr davon. Gerrit Bartels

Rage Against The Machine: „The Battle Of ...“ (Epic); Nine Inch Nails: „The Fragile“ (Motor); Stone Temple Pilots: „No 4“ (Eastwest)