Kein Umweltschutz mehr ohne Fun-Faktor

■ Was hat die Umweltbewegung vom nächsten Jahrhundert zu erwarten? Nicht viel, wenn sie so bierernst bleibt, meint Sönke Hoffman vom NABU

Öko ist Mainstream geworden: Jeder Supermarkt hat Biofood, die Grünen sind an der Regierung. Auf der anderen Seite hat die nächste Generation, die mit lila Kühen heranwächst von Friedens- und Anti-AKW-Bewegung nichts mehr am Hut. Umweltschutzgruppen müssen sich im nächsten Jahrtausend ganz anderen Aufgaben stellen. Die taz sprach mit Sönke Hofmann (29), dem Chef des Bremer Naturschutzbundes NABU, über Lust und Frust am Umweltschutz.

taz: Werden die Umweltschutzgruppen das nächste Jahrhundert überleben?

Sönke Hofmann: Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sie sind zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Oder aber sie schaffen es, die Bevölkerung mitzunehmen. Ich glaube, wir haben viel vernachlässigt. Unsere Ziele sind heute nur negativ belegt. Zum Beispiel, dass die Naturschützer nicht wollen, dass man mit dem Auto fährt oder Lametta in die Weihnachtsbäume hängt. Die Umweltschützer reden vom Erhalt des Wachtelkönigs, aber im nächsten Jahrhundert wird es den Menschen egal sein, ob es ihn noch gibt, solange draußen noch andere Vögel zu sehen sind. Wir können aber auch etwas ganz Tolles bieten: ein nicht zu verwechselndes Naturerlebnis. Das muss rüber kommen.

Hat Naturschutz ein Image-Problem?

Ja. Denn wie wirken wir in der Öffentlichkeit? Als ein Haufen Öko-Freaks, die alles aus Masochismus machen. Du sollst nicht Auto fahren, nicht fliegen. Nur Verbote.

Was muss also anders werden?

Natur hat viel mit Spaß und Genuß zu tun. Auch Naturschutz ist eine Genußsache. Das wird immer in die Ecke gedrängt. Es sieht dann immer so aus, dass Naturschutz Genußverzicht wäre. Das ist es aber nicht. Letztendlich ist Naturschutz eine Lebensqualität, die haben wir aber leider nicht rüber gebracht.

Das hat früher nichts ausgemacht? Da war die Ökobewegung mit Anti-Akw und Waldsterben stark.

Ja, damit fing das an. Vor allem das Waldsterben. Es gab nichts Eindringlicheres als den deutschen Wald, der vor der Haustür stirbt.

Und Tschernobyl...

Ja, das hat bei vielen Leuten was verändert. Aber letztlich nur kurzfristig.

Inzwischen hat der Naturschutz viel erreicht. Ist der Naturschutz an seinem eigenen Erfolg zu Grunde gegangen?

Das wird jetzt auf uns zukommen. Wir haben viel erreicht. Ich befürchte, wir haben gar nicht gemerkt wie erfolgreich wir waren. Die Flüsse sind sauberer geworden. Das muss man einfach klipp und klar sagen. Jetzt fehlt der Öffentlichkeit langsam der Grund, noch weiterzumachen. Denn man sieht den Schmutz nicht mehr so.

Nach den früheren Horrormeldungen dürfte der Wald nicht mehr leben. Die Ölvorkommen sollten längst verbraucht sein. Ist man nicht langsam abgestumpft?

So dramatisch ist das alles nicht eingetreten. Aber es gibt natürlich eine starke Abnutzungserscheinung. Auf leise Töne reagiert man gar nicht mehr.

Was muss man tun, um Umweltschutz wieder zu einer Volksbewegung zu machen?

Ganz einfach den Leuten zeigen: Naturschutz macht Spaß. Das ist keine lebens- und lustfeindliche Sache. Zum Beispiel einige Fledermaus-Forscher sehen mit großem Argwohn, dass sich Leute auf einmal zu hunderten für die Flattertiere interessieren. 250 Leute sehen sich das auf einmal an, soviel kriegt man in keine Vogelführung.

Hat Umweltschutz denn bisher keinen Spaß gemacht?

Das traut man sich meist gar nicht einzugestehen. Für die meisten Biologen ist der Naturschutz bierernst und knochentrocken. Sobald etwas Spaß macht, ist es nicht mehr wissenschaftlich. Das ist ein ehernes Gesetz im Naturschutz. Das kotzt mich an. Der Tierschutz zum Beispiel ist da ganz anders. Die arbeiten viel, viel stärker mit dem Bauch.

Aber wird Umweltschutz mit Fun-Faktor nicht zum Light-Produkt?

Es ist eine andere Qualität. Wenn man sich hinstellt und sagt, Naturschutz darf nur was für Intellektuelle sein, dann wird die Qualität nach unten korrigiert. Das ist aber nicht die Masse der Bevölkerung. Diejenigen, die ich „unten“ abhole, die jetzt zum ersten Mal den Umweltschutz verstehen, die sagen, das ist ein Qualitätsgewinn.

Welche Themen kann der Umweltschutz im 21. Jahrhundert überhaupt noch besetzen?

Die ganzen Problemfälle wie Waldsterben, Atom, die interessieren die Leute nicht mehr. Probleme haben die Leute selbst schon genug. Was wir vermitteln können, ist das unmittelbare Naturerlebnis. Und das wird uns niemals das Fernsehen nehmen können. Nur über dieses Gefühl kann man bei den Leuten eine Rücksichtnahme erreichen. Das Auto kriegen wir damit nicht weg. Aber vielleicht ein Gefühl dafür, wann es wirklich notwendig ist.

Haben sich die Menschen verändert?

Heute lieben die Leute Goliath, nicht mehr David. Die Umweltverbände haben eine Zeit lang davon gelebt, dass sie der gerechte David waren. Goliath dagegen war immer negativ besetzt als Führerfigur. Aber mittlerweile, weil es uns wirtschaftlich nicht so gut geht, da sagen die Leute, wir brauchen endlich mal jemanden, der positive Signale aussendet und der Erfolg hat. Die Welt ist kompliziert, da ist es ganz schwierig, den Durchblick zu behalten. Da ist Goliath eine Leitfigur, der man folgen möchte.

Haben die Umweltschutzverbände in anderen Ländern ähnliche Probleme?

In den Niederlanden zum Beispiel wohnen knapp sechs Millionen Menschen. Eine Million sind in der Naturschutzorganisation „Natuurmonumenten“. Das ist ein Organisationsgrad, von dem wir in Deutschland doch nur ansatzweise träumen können. Hier haben NABU, BUND, WWF und Greenpeace zusammen genommen gut eine Million Förderer. Aber verteilt auf 80 Millionen Einwohner.

Können wir was von den Holländern lernen?

Wir haben hier einerseits so eine überkandidelte Bambi-Mentalität, die die Natur als Heiligtum ansieht, und die anderen interessiert es überhaupt. Bei den Engländern ist es selbstverständlich, dass man in einem Naturschutzgebiet fünf Pfund Eintritt bezahlt für eine Führung. Das ist eine Dienstleistung. Während unsere Naturschützer große Schwierigkeiten haben, drei Mark für eine Führung zu nehmen. Das führt im Umkehrschluss dazu, Natur ist immer umsonst. Natur ist auch nichts wert.

Muss man Naturschutz unbeding sehen und erleben können? Hat dann nicht das Hollerland ein Problem?

Ja. Das Hollerland hat große Probleme. Da kommt die Mosaikjungfer vor – viele Arten, die auf der roten Liste stehen. Aber für jemand, der mit dem Fahrrad da ist, macht es überhaupt keinen Unterschied ob man da unten im Graben an Libellen vorbeirauscht oder nicht. Ich glaube, wenn man sich gute Gedanken macht, kann man Menschen zwar auch für Insekten begeistern. Aber im Moment sind Fledermäuse trendy und hip. Aber Libellen?

Fazit?

Wir müssen wieder eine Volksbewegung aus dem Naturschutz machen. Die naturschutzfachliche Seite sollte dafür ruhig etwas nach hinten gestellt werden.

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