Die Steher von Berlin

■  Mit der Regierung sind auch Hunderte von Lobbyisten nach Berlin gewechselt. Den kleinen Interessenvertretungen fehlt oft Geld. Und wer nicht gut trinken und stehen kann, ist falsch im Job

Es ist 11.30 Uhr am Morgen, und der trockene Weiße ist gut. Den wird es in knapp einem Monat geben, wenn er sein Berliner Büro eröffnet, erklärt Dietrich (Didi) Rollmann beim Einschenken. Der 67-jährige kompakte Mann mit der hohen Stimme, dem Hamburger Tonfall und dem leichten Lispeln ist der „Berliner Bevollmächtigte“ des Deutschen Dachverbandes für Geoinformation (DDGI), der Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) und mehrerer anderer kleiner Verbände.

Rollmann ist aber vor allem eines: ein Unikum. Der frühere Politiker bietet seine Kontakte und politische Erfahrung gleich mehreren Organisationen an, die für ihre Interessen auf die Politik der Bundesrepublik Einfluss nehmen wollen, aber kein Geld für ein eigenes Büro und einen eigenen Kontaktmann bei den Schröders haben. Rollmann hat drei verschiedene Visitenkarten, für jeden Verband eine. „Senior Lobbyist“ nennt er sich mit sichtlicher Freude an der Doppeldeutigkeit des Begriffs – und offenbart ein Berufsgeheimnis: „Als Lobbyist müssen Sie trinken und stehen können – das Trinken geht gut.“

Mit dem Wechsel der Regierung an die Spree sind viele, wenn auch nicht alle Lobbyisten in die neue Hauptstadt gegangen (s.u.). Die Macht des Beamtenbundes, des Bauernverbandes und der Pharmaindustrieverbände auf die Regierung sind legendär: Wer Politik in seinen Feinheiten liebt, kann in diesen Tagen erleben, wie die x-te Gesundheitsreform am Druck der Lobby scheitert.

Aber wie funktioniert das: „Einfluss nehmen“ und „Druck ausüben“? Wenn er höre, berichtet Rollmann freimütig, dass in einem Ministerium „dies und das in der Mache“ sei, treffe er sich für ein Info-Gespräch mit dem verantwortlichen Ministerialrat: „Der ist wichtig“, betont der Interessenvertreter, der Minister sei lediglich gut für ein Treffen mit dem Verbandschef – bei den „kleinen Brötchen“, die er als Lobbyist backe. „Ansonsten sind Minister völlig unbedeutend“, erklärt Rollmann. Denn gegen den Apparat erfahrener Ministerialräte komme sowie kein Ressortchef an.

Wenn es bei den Referenten nicht klappe, „kümmern Sie sich um die Ausschüsse und springen den Abgeordneten hinterher“. Als ehemaliger CDU-Abgeordneter hat er bei den Bürgerlichen gute Kontakte – aber auch in der SPD habe er immer einige Freunde gehabt. Die Ministerialräte folgten manchmal seinen Vorschlägen, „weil ich mit denen befreundet bin“ – und die Abgeordneten könnten etwa Eindruck schinden mit parlamentarischen Anfragen, die er selber „fertig formuliert“ habe. Der Vorteil: keine Arbeit für den gestressten Volksvertreter. Rollmann will dabei stets an die Fachpolitiker ran. Wenn er die auf seiner Seite habe, folgten auch die andere Abgeordneten den Ratschlägen ihrer Fraktionsexperten.

Was er erreicht hat? Für die GTÜ heftet sich Rollmann den Wegfall des Prüfmonopols des TÜVs an. Macht will er das nicht nennen: Nur die „sehr Großen“ würden „echt Druck ausüben“: BMW trete direkt an Stoiber heran, VW an Schröder. Die Jahre, da eine Abgeordnete noch mit einer Brosche vom Apothekerverband angetroffen werden konnte (eine goldene Schlange am Äskulap-Stab, umgarnt von Brillanten), seien vorbei: Die Öffentlichkeit sei heute viel aufmerksamer. „Maximal ein Essen“ sei bei ihm für einen Ministerialrat drin – Geldgeschenke, die kenne er in seiner Branche „immer nur als Ondit“.

Dass so etwas mit Geschenken nicht klappe, sagt auch Philipp Graf von Walderdorff: Die Glaubwürdigkeit gehe dabei schnell flöten. Während Rollmann mit seinem Neffen Nico, der ihm aushilft, in einem Raum hockt, empfängt der Lobbyist des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) im prächtigen Haus der Wirtschaft, einen Speerwurf entfernt von Schröder im Staatsratsgebäude. „Natürlich kommen wir immer an Müller ran“, lässt von Walderdorff lässig fallen und meint damit den Bundeswirtschaftsminister. Als Lobbyist pflege er ein Spiel „mit offenen Karten“: Er mache deutlich, sagt der Gentleman, was eine anstehende Entscheidung der Regierung für die dreieinhalb Millionen Mitgliedsunternehmen des DIHT bedeute.

Schade – die jährliche Spritsteuererhöhung um sechs Pfennig habe er nicht verhindern können. Ob es ohne seine Tätigkeit nicht noch mehr wären, das lässt der Graf allerdings offen. Obwohl er sonst das offene Wort liebt: Beim Rücktritt Lafontaines, bekennt er, „haben die Sektkorken natürlich geknallt“.

Der DIHT hat in Berlin 220 Angestellte und einen Jahresetat von 50 Millionen Mark – Henriette Urban, Geschäftsstellenleiterin eines Verbandes der Tagungsbranche (DeGefest), muss mit Jahresbeiträgen von 200 Mitgliedern à 595 Mark auskommen. Sie arbeitet in kleinen Räumen eines Hotels neben dem Berliner Dom. Auch diese wieder ausnehmend nette Frau ist eine Lobbyistin, hat aber nach eigenen Angaben mit Politikern bisher keinen Kontakt gehabt. Wegen der Regierung mietete der DeGefest schon vor vier Jahren in Berlin ein Büro – aber da hätten auch persönliche Gründe mitgespielt. Die Projektmanagerin plant nebenher für ihre eigene Agentur Tagungen, wie einen Kongress von Papyrologen – auch sie hat nicht nur eine Visitenkarte.

Was man denn bei Legislative oder Exekutive konkret beeinflussen wolle, das könne sie nicht sagen, erklärt die Lobbyistin, das wüssten wohl die DeGefest-Vorstandsmitglieder – aber die würden überall in Deutschland arbeiten und nicht hier. Lobbyarbeit, räumt sie ein, funktioniere nur beim persönlichen Kontakt. „Dass wir das noch nicht machen können, ist bedauerlich.“ An der Telefonnummer von Didi Rollmann immerhin ist sie sehr interessiert.

Philipp Gessler