Das Glashaus bricht in Stücke

Der Doping-Fall des Langstreckenläufers Dieter Baumann, bisher Vorkämpfer gegen unerlaubte Mittel, erschüttert die deutsche Leichtathletik    ■ Von Thomas Winkler

Berlin (ta*) – Noch Anfang Oktober organisierte Dieter Baumann eine Podiumsdiskussion im heimatlichen Tübingen. Titel: „Wie gehen Medien mit dem gedopten Sport um?“ Nur wenige Wochen später hätte der Mitveranstalter bereits als Täter mitdiskutieren können. Der Olympiasieger wurde am Freitag vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) suspendiert, nachdem bei Trainingskontrollen, am 19. Oktober und 12. November durchgeführt, im Urin des prominentesten Langstreckenläufers der Republik erhöhte Werte des Anabolikums Nandrolon festgestellt wurden. Der erlaubte Wert von höchstens 2 Nanogramm war um mehr als das 10-fache überschritten. Noch sind die B-Proben nicht untersucht, aber eine Entlastung durch sie ist kaum erwartbar. Noch niemals hat eine Gegenprobe nicht das Ergebnis der ersten Analyse bestätigt. Dem 34-Jährigen droht nun eine Sperre von 24 Monaten.

Baumann, der gestern gegenüber der Presse seine Unschuld beteuerte, hat einen Anwalt eingeschaltet. In einer persönlichen Erklärung versicherte er, er habe niemals „Dopingmittel eingenommen“. Bestätigt sich der Verdacht gegen den vielfachen deutschen Meister, drohen auch Ehefrau und Trainerin Isabelle, die als Teamleiterin Langstrecke beim DLV beschäftigt ist, Auswirkungen.

Beim DLV sprach man gestern von einer „Katastrophe“, so Pressesprecher Stefan Volknant: „Der DLV wird in seinen Grundfesten erschüttert.“ Denn nun verliert man mit Baumann ausgerechnet „das Aushängeschild im Anti-Doping-Kampf“, bei dem sich der DLV international gerne als Vorkämpfer sieht. Dennoch werde man, so versichert Volknant, „den harten Kurs beibehalten“. Schließlich sieht man sich bestätigt, „dass die Kontrollen greifen und der Verband sich nicht vor großen Namen und großen Verdiensten scheut“.

Dass unlängst mehrere Nandrolon-User von ihren nationalen Verbänden freigesprochen wurden, hat – wie DLV Präsident Helmut Digel in einem gestern veröffentlichten offenen Brief feststellte – keinen Einfluss auf den Fall Baumann. Digel verurteilte ausdrücklich, dass unlängst die jamaikanische Sprinterin Merlene Ottey, der britische 100-Meter-Olympiasieger Linford Christie und der kubanische Hochspringer Javier Sotomajor von ihren Verbänden nicht gesperrt wurden: „Will der DLV seinen Weg im Kampf gegen Doping konsequent weitergehen, so muss er nichts anderes tun, als seine Regeln beachten.“

Baumann selbst war „schockiert“ und will auch künftig für „einen sauberen Sport“ werben. „Der ist fertig, der hat überhaupt keine Erklärung“, sagte der Stuttgarter Journalist Josef Otto Freudenreich, Vertrauter von Baumann und Co-Autor seines Buches „Ich laufe keinem hinterher“, gestern auf ta*-Anfrage. „Dieter weiß, dass damit seine Karriere kaputt ist“, so Freudenreich, „er wird den Beweis seiner Unschuld versuchen, aber das sieht finster aus.“

Auch der Doping-Fachmann Prof. Werner Franke kann sich nicht vorstellen, „dass er etwas genommen hat, aber ich kann es natürlich nicht ausschließen“. Auch einen Fehler der IOC-Labors in Kreischa und Köln, die die Proben analysiert haben, schließt er aus. Franke wies allerdings darauf hin, dass es „interessante Fälle“ gibt, bei denen bewiesen wurde, dass erhöhte Nandrolon-Werte auch durch Krankheiten, einen Tumor beispielsweise, entstehen können. „Es gibt auch angeborene Stoffwechselanomalien“, so Franke gestern, „die sich in einem erhöhten Nor-Testosteron-Wert offenbaren“. Der Markenname für das Anabolikum Nor-Testosteron ist Nandrolon. Franke schlägt vor, „Baumann und andere“ mögen „Forschungsobjekt“ spielen. Dem Heidelberger Professor schwebt eine möglicherweise vom Baumann-Sponsor Bayer mit Geld versorgte „kontrollierte Studie“ vor, in der geklärt werden soll, ob und wie solche erhöhten Werte entstehen können. Auf jeden Fall aber, stellt Franke klar, „ist das möglich“, bei bestimmten Trainingsbelastungen oder durch die Ernährung, denn Nandrolon wird auch in der Viehmast verwendet.

Auffällig sei, dass Baumanns Werte extrem schwankten. Wurden am 12. November noch 24 Nanogramm gemessen, lag der Wert nur fünf Tage später schon wieder bei Null. Das beweise, so Franke, dass Baumann das Nandrolon auf keinen Fall intravenös, sondern bestenfalls oral eingenommen haben kann.

Müsste Dieter Baumann eine 2-jährige Sperre komplett verbüßen, dürfte seine Karriere beendet sein. Bestenfalls der eh schon geplante Umstieg auf den Marathon wäre für den dann 36-Jährigen noch möglich. Die Wiederherstellung seiner durchaus auch lukrativen Reputation als Saubermann aber wohl auf keinen Fall mehr.