Die alten Leiden der jungen Y.

■ Das Bremer Schauspiel zeigt mal wieder Lorca: Konstanze Lauterbach hat die Tragödie „Yerma“ einstudiert. Leider ist sie dabei senkrecht abgestürzt

Ach Yerma, arme reiche junge Bauersfrau. Jahr um Jahr muss sie leiden, weil ihr Mann ihr kein Kind machen kann. Wenn sie doch nur ein Telefonbuch hätte. Wenn sie doch nur einfach unter „p“ nachschlagen könnte. Wenn sie doch einfach nur mit dem Zeigefinger ihrer schönen Hand über die Pepes, Pequeños, Porquerizos und anderen Schweinehirten hinwegstreichen würde.

Doch leider lebt Yerma im hintersten Winkel des spanischen Schafhirtenlandes. Und leider gibt es in dieser Gegend, in der nicht mal Christus jemals richtig angekommen ist, keine Telefonbücher. Heute aber gibt es bekanntlich Telefonbücher. Und heute gibt es Beratungsstellen für Familienplanung, die man unter dem Buchstaben p finden kann. Also leidet Yerma, die Hauptfigur aus der gleichnamigen tragischen Dichtung Federico Garcia Lorcas über das Leben einer scheinbar Unfruchtbaren, zwei Echtzeitstunden und mindestens fünf Tragödienjahre lang ein ziemlich vergangenes Leiden. Ja, in Konstanze Lauterbachs Einstudierung für das Bremer Schauspielhaus, ist es sogar ein derartiges Museumsleiden, dass man beim Zusehen immerfort dazwischen rufen möchte: „Mensch, Yerma, geh doch zu pro familia! Oder schieß wenigstens Deinen Schluffigatten Don Juan einfach in den Wind!“

Aber das Bremer Schauspielhaus ist kein Ort für solche Zwischenrufe. Es ist diesmal sogar nicht mal ein Ort für große Wort- und andere Bilder. Rechts hängen erdfarben angestrahlte (oder angemalte) Papierbahnen in der Flaute, von hinten links ragt eine Halbröhre wie ein von einem früheren Wind dorthin geblasener riesiger Briefbogen in den Raum herein (Bild: Stefan Heyne). Das wäre schon eine Bühne für Konstanze Lauterbachs Spiel mit den Elementen. Kohlengriesel liegt sogar rechts dafür bereit. Auch Wasser wird auf die Bühne getragen. Und die richtige Musik, die Lautes lyrisch bricht und andere Atmosphären erzeugt, kommt sogar auch vom Band. Aber in ihrer vierten Regie für das Bremer Theater weiß die Regisseurin mit all dem nichts rechtes anzufangen.

Konstanze Lauterbach macht sonst ein magisches, oft poetisches und selten lautes Theater. In ihren vor „Yerma“ drei Bremer Kunstwerken erzählt sie von Frauen, die anderer Frauen Hilfe brauchen und nur in der Gruppe mächtig bis gefährlich sind. Und sie zeigt Männer, die auch allein das Sagen haben und – wenn sie mal endlich etwas sagen – längst selbst in Gefahr leben.

Das über Glaskugeln durch ein Birkenwäldchen stolpernde Ensemble ihrer ersten Bremer Inszenierung „Sterne am Morgenhimmel“ ist noch in Erinnerung. Die von der Bühne in den Saal strahlende flimmernde Hitze ihrer ersten Bremer Lorca-Einstudierung „Doña Rosita bleibt ledig“ ist es ebenso. Und die zu einem Thriller über Teenagerstreiche, Verfolgungs-Wahn und Machterhalt reanimierte Fassung von Arthur Millers „Hexenjagd“ steht als eins der besten Schauspiele der letzten Jahre sogar noch auf dem Spielplan. Doch für die Wiederbelebung eines Klassikers ist schon ein Wunder, zumindest aber ein guter Einfall nötig. Ansonsten tun sich Abgründe auf.

Für „Yerma“ hat Federico Garcia Lorca (1898-1936) dem Landvolk und unter ihm wieder mehr den Frauen als den Männern aufs Maul geschaut. Von einer treuen Bäuerin, die Kinder von ihrem Mann bekommen will, aber (von ihm) keine bekommen kann, hat er da Anfang der 30-er Jahre gelesen. Und er hat darüber in seiner kaktussaftigen, von Naturmetaphern wimmelnden Dramensprache eine Tragödie geschrieben, in deren Verlauf Yerma, die Öde und Brachliegende, erst immer mehr ahnt und dann die ganze Wahrheit von Juans Unfruchtbarkeit erfährt. Lorcas Drama zeichnet das Bild einer repressiven, aber keineswegs hermetischen Gesellschaft. Immerhin sind die nötigen Informationen auch ohne Beratungsstelle für Familienplanung zu beschaffen. Und immerhin ist Yerma mit ihrem Konflikt auch in der Schafhirtenprovinz nicht allein.

In ihrer Einstudierung hat Konstanze Lauterbach wohl vieles von dem gesehen, aber kaum neue Bilder für diese Soziologie-Grundkursthemen „Individuum und Gesellschaft“, „Repression“, „Geschlechterrollen“ und so fort gefunden. Hat sie der Lorca diesmal wohl gelangweilt? In der Not jedenfalls beschränkt sie sich auf das Minimum: auf die biographisch inszenierte Geschichte der Yerma. Doch so reduziert hat die nach Lorcas Text nicht das Zeug für ein zeitloses Schauspiel zu den konfliktträchtigen Themen Kinderwunsch und Unfruchtbarkeit. Man muss schon was dazu erzählen, drumrumbebildern. Nur manchmal zeigt Lauterbach sogar in dieser misslungen bis missratenen Inszenierung, wie das gehen kann. Juans Schwestern (Ines Abarbanell und Jele Brückner) – bei Lorca alte Jungfern, im Schauspielhaus junge Gouvernanten – zelebrieren zum Beispiel die Hausarbeit als einen halb gaudihaften, halb bedauernerregenden Ganzkörpereinsatz. Weitere Sahnehäubchen wie zwei kleine Schwangeren-Balletts und der sprachchoreographierte Chor der Wäscherinnen (Katrin Heller, Cornelia Kempers und andere) kommen hinzu. Jedoch schmilzt all das schnell dahin in dieser kargen, auf die Yerma-Qual reduzierten Lorca-Inszenierung. Nur aus einem Grund wird die Geschichte der Qual nicht völlig zu einer Quälnummer.

Denn es bleibt das Leiden. Und das ist mal ein schön schreckliches Theaterleiden. Es ist ein Anika-Mauer-Bühnen-Leiden. Denn Doña Anika als Yerma schimpft und bebt, fragt und sucht, schreit und trauert bis in die letzte Faser ihres Schauspielerinnenleibes. Selbst wer Max Hopp vor ein paar Jahren als Woyzeck dabei gesehen hat, wie er aus seiner Rolle nach dem Schluss gar nicht wieder herausfand, wird überrascht sein. Denn diese wunderbare Schauspielerin Anika Mauer leidet vor lauter Freude noch am Premierenjubel – und sicher auch an den Bravo-Rufen nach den weiteren Vorstellungen – weiter. Ihre Männer – Juan, der Gatte (Alexander Rossi) und Victor, der insgeheim Begehrte (Thomas Ziesch) – sind dagegen solche Bleichgesichter, dass man sich fragt, was sie an denen findet. Aber zum Glück gibt es im echten Leben heutzutage auch andere Möglichkeiten. Pro familia, bitte übernehmen Sie. Christoph Köster

23., 26., 27., 30. November, um 20 Uhr, 28. November um 15.30 Uhr im Schauspielhaus. Weitere Vorstellungen von „Hexenjagd“ (ebenfalls mit Anika Mauer in einer Hauptrolle): 21. u. 25. Dezember, 20 Uhr. Karten unter Tel.: 36 53 333