Seriöser Absturz

Proseminartexte können kein Nachtleben ersetzen: Ivan Stanevs „Don Juan im Kumpelnest 3000 zu Berlin“  ■   Von Tobias Rapp

Jeder kennt das Kumpelnest 3000. Jeder hat sich hier schon einmal betrunken, und jeder weiß irgendwelche Geschichten zu erzählen, die sich hier zugetragen haben und deren Pointe sich irgendwo im Schnapsnebel verliert. In den späten Achtzigern wurde es von Mark Ernestus – heute Mastermind hinter dem Berliner Platten-Label Basic Channel – als Abschlussarbeit an der Hochschule der Künste konzipiert, wandelte sich so von einem Bordell in einen Kunstraum und sofort weiter in eine Bar. Eine der Bars, in denen sich alle möglichen Leute ansammeln, vereint im Willen zum seriösen Absturz.

Und nun, zwölf Jahre später, kehrt das Kumpelnest in den Kunstraum zurück, in Form des Theaterstücks „Don Juan im Kumpelnest 3000 zu Berlin“. Und zwar merkwürdigerweise in den Osten, obwohl wenige Läden so sehr Westberliner Nachtleben repräsentieren wie das Kumpelnest.

Sei's drum. Im Foyer der Sophiensaele werden Bücher von Bataille und Foucault verkauft, und damit ist die Richtung vorgegeben. Wer jetzt nicht umkehrt, hat es nicht anders gewollt.

Dabei fängt es gar nicht schlecht an. Ein Vertreter (Stefan Hufschmidt) sitzt an der Bar, betrinkt sich und sinniert über seine Sicht der Welt. Autos, den Fortschritt in der Handytechnologie, Türken, die Vorteile von CD-Wechslern im Kofferraum, seine Nachbarn. Und darüber, dass alle sich gegenseitig nur über den Tisch ziehen wollen, die Großen genau wie die Kleinen.

Das ist beste Stand-up-Comedy, für die es zwar des Rahmens nicht bedurft hätte, die aber für einen Augenblick suggeriert, das Stück stelle einfach einen Kneipenabend nach, um so die Erwartungshaltung des Publikums gleichzeitig zu erfüllen und auszuhebeln. Doch dem ist nicht so. Bis auf den Auftritt der bestürzend schönen Drag Queen Krylon Superstar, die von ihren ersten Highheels erzählt und wann sie das erste Mal für Geld mit jemand aufs Klo gegangen ist, sowie eine sehr nötige Pause geht's von da an steil bergab. Es gibt einen Erzähler schlechter Witze, die mit Ficken zu tun haben, eine Hure, die erzählt, wie sie das erste Mal Sex mit ihrem Vater hatte, Don Juan, der einen Dialog mit einer Frau nachspielt, einen ausführlichen Blaubart-Remake und ein nacktes Mädchen, das „Sag mir, wo die Blumen sind“ singt.

Irgendwann bekommt man noch einen kurzen Überblick über 200 Jahre Kneipenphilosphie und eine schier endlose Nacherzählung verdorbenster Orgien nach Georges Bataille verpasst: Wer dann noch nicht eingeschlafen ist, den schaffen spätestens die Briefe Ovids vom Schwarzen Meer. Puh.

Das Einzige, was ans Kumpelnest erinnert, ist die Kulisse: ein Nachbau des Kumpelnests im Maßstab eins zu eins. Das ist es dann aber auch schon. Der Rest hätte irgendwo stattfinden können – auf einer Bühne, die eine Bahnhofskneipe darstellt. Oder in einem Nachbau des Cafés in der Neuen Nationalgalerie, ergänzt durch drei Fernseher, die ein Testbild zeigen. Doch ansonsten erschöpft sich die Referenz zum nächtlichen Leben gerade mal in dem werbewirksamen Titel des Stücks. Kumpelnest, super, bin ich auch schon mal abgestürzt. Die verschiedenen Passagen des Stücks haben keine Verbindung untereinander, die Darsteller und das Publikum auch nicht, und Kulisse und Stück korrespondieren nicht wirklich. Das soll alles ungeheuer krass und voll Sex-und-Gewalt-mäßig und on the edge sein, erschöpft sich aber im Rezitieren einschlägiger Proseminartexte.

Ivan Stanev: „Don Juan im Kumpelnest 3000 zu Berlin“, Sophiensaele, Sophienstr. 18, nächste Aufführungen: 22.–26. 11., jeweils 23 Uhr