Das Krokodil ist nicht mehr vollkommen zahnlos

■ Stuttgarts Sean Dundee macht beim 2:0 gegen den SSV Ulm endlich wieder ein Tor

Stuttgart (taz) – Die Situation sieht ziemlich ungemütlich aus. Jens Keller, Abwehrspieler in Diensten des VfB Stuttgart, presst sich durch den engen Gang in den Katakomben des Daimlerstadions. Seine Sporttasche schrammt an der Wand entlang, auch sein Gesicht ist nur noch ein paar Zentimeter von der Mauer entfernt. Als gar nichts mehr geht, bleibt er stehen und schüttelt sanft das Haupt. „Oh Mann“, raunt er, „jetzt macht der einmal ein Tor, und schon komme ich hier nicht mehr raus.“ Doch als sich eine Gasse für ihn bildet, grinst er breit, weil er ganz genau weiß, dass das Geschäft eben so läuft und weil er seinem Kollegen die Aufmerksamkeit auch gönnt.

Mitten in dem Knäuel steht Sean Dundee, den sie früher gerne Crocodile Dundee nannten, weil er bei fast jeder Torgelegenheit zuschnappte, der in letzter Zeit aber eigentlich nur noch belächelt wurde, weil er ziemlich viel Mist gebaut hat. Nicht nur auf dem Platz, sondern vor allem auch daneben. Doch an diesem Nachmittag gehört ihm das geballte Interesse. Der VfB hat sein erstes Bundesliga-Derby gegen den Aufsteiger SSV Ulm mit 2:0 gewonnen. Das Spiel war nicht besonders aufregend. Aber er, Dundee, hat nach knapp 20 Minuten sein erstes Tor für den VfB Stuttgart geschossen. Und damit sein erstes Bundesliga-Tor seit mehr als zwei Jahren.

Das tut einem Fußballer gut, bei dem in den letzten Monaten die Kilos, die er auf die Waage brachte, für weit mehr Gesprächsstoff sorgten, als sportliche Leistung. Und der ganz genau weiß, dass sein Engagement bei den Schwaben seine letzte Chance ist, in dem Geschäft noch einmal Fuß zu fassen. Und wie er so dasteht, in den Katakomben des Daimlerstadions, mit diesem breiten jungenhaften Lächeln, ähnelt er zumindest schon ein bisschen wieder diesem unbekümmerten Typen, der in seiner Karlsruher Zeit für so viel Begeisterung sorgte, bevor ihn das Leben außerhalb des Fußballplatzes total überforderte. „Ich freue mich riesig“, diktiert er den Journalisten in die Blöcke, „dass ich endlich mal wieder ein Tor geschossen habe.“

Sein Trainer Ralf Rangnick hat sich auch über das Tor seines Stürmers gefreut, weil er seit Wochen ein Problem mit der Angriffsabteilung hat und ihn nicht wenige für verrückt erklärten, als er Dundee vor der Saison aus Liverpool an den Neckar lockte. Außerdem war dem 41-Jährigen nicht besonders wohl vor dem Kräftemessen mit den Ulmern, auch wenn er es nicht gerne zugibt. Schließlich war er in der vergangenen Saison in der zweiten Liga selbst noch Trainer in Ulm, bis ihn die Stuttgarter abwarben. Und seine ehemaligen Spieler taten unangenehm viel dafür zu zeigen, was sie bei Rangnick gelernt haben. „Die Ulmer hätten vielleicht sogar einen Punkt verdient gehabt“, sagte Stuttgarts portugiesischer Flügelflitzer Roberto Pinto, was nicht heißen soll, dass die Gegner über die bessere Atemtechnik verfügen, sondern dass sie die Gastgeber ziemlich früh am Spielaufbau hinderten. Das hat auch dem Ulmer Trainer Martin Andermatt gefallen. Nur ein Tor wollte seiner Mannschaft nicht gelingen.

So blieb Ralf Rangnick nach dem gelungenen Spiel gegen seinen einstigen Arbeitgeber genügend Zeit darüber zu plaudern, wie er seinem Stürmer den „Glauben zurückgegeben hat, dass er so spielen kann wie früher“. Er habe sich mit ihm gemeinsam ein paar Videokassetten angesehen – aus der guten alten Zeit. „Heute hat er mich mehr an den 22-jährigen Dundee erinnert als in den letzten drei Monaten“, sagt Rangnick. Und so entlockt ihm selbst Dundees Übergewicht, damals als er aus England zurückkam, nur noch ein Lächeln. „Wahrscheinlich gab es in England zu viel Fish und Chips“, sagt er.

Ein Stückchen weiter steht Dundee und versucht zu beschreiben, wie er sich fühlt. Irgendwann bekommt der Pressesprecher des VfB Mitleid mit ihm. „Schluss jetzt“, sagt er, „draußen wartet der Hubschrauber, der dich ins ,Aktuelle Sportstudio‘ bringt.“ Die meisten lachen, nur ein Journalist will von Dundee wissen, ob das stimme. „Nein“, sagt er, „ich gehe jetzt nach Hause.“ So schnell geht es dann doch nicht. Nina Klöckner