Vom tieferen Sinn der Krise

Warum Hertha BSC die 0:1-Niederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern lieber positiv sieht und die Bedeutung der griechischen Vokabel „crisis“ schätzt  ■   Aus Berlin Markus Völker

Die Botschaft des Stadionmagazins Wir Herthaner war programmatisch zu verstehen: Frohsinn demonstrieren, wenn nötig unter Anstrengungen. Auf dem Cover des Hochglanzheftes stemmen Gabor Kiraly und Andreas Neuendorf den notorisch gut gelaunten Hertinho-Bär in die Höhe. Torhüter Kiraly stellt ein ausgelassenes Lachen aus. Neuendorf zaubert ein hölzernes Grinsen aufs Bild und auch die Geste – seine linke Hand bedeckt den Schoß des Maskottchens – wirkt steif.

Das durfte als Hinweis gelten. Der Spielwitz der Herthaner im Match gegen die Mannen aus Kaiserslautern war ähnlich gehemmt. Die Berliner verloren im Olympiastadion mit 0:1 durch ein Tor von Jeff Strasser in der 38. Minute.

Hertha BSC spielt morgen in der Champions League gegen den FC Barcelona. In der Bundesliga ist das Team von Coach Jürgen Röber nur einen Punkt vom Abstiegsrang entfernt. Es wird flankiert von Eintracht Frankfurt und Hansa Rostock. Geplant war eine Nachbarschaft mit Bayern München oder Bayer Leverkusen.

Die Frage also: Wieso wächst Hertha in dieser Spielzeit ein Januskopf, dessen eine Gesichtshälfte in der Champions League frohlockt, sich auf der anderen aber, der Bundesliga-Miene, tiefe Sorgenfalten eingraben? Röber dreht zur Antwort an der Gebetsmühle. Die Verletzungsmisere. Michael Preetz. Das Unglück. Der doppelte Hochzeitstanz. Der Substanzverlust. Er sagt es nicht entschuldigend, er versucht bei den Fakten zu bleiben. „Die Spieler wissen natürlich, gegen Barça werden sie wieder im Rampenlicht stehen.“

Aber was war am Samstag im Spiel gegen die Lauterer. Das Flutlicht, die Scheinwerfer von Premiere World blendeten nicht weniger grell. Und 41.000 Zuschauer froren sich den Po kalt. Röber: „In der Bundesliga sind wir weit davon entfernt, was wir in der Champions League zeigen.“ Das haben alle gemerkt.

Ratlos aber machte die Diskrepanz niemanden. Im Gegenteil. Die Verantwortlichen versuchten Zuversicht aus der Niederlage zu gewinnen. Manager Dieter Hoeneß sprach: „Ich bin nicht enttäuscht vom Spiel, nur vom Ergebnis. Mich stimmt optimistisch, dass die Mannschaft 90 Minuten lang gekämpft, gerackert hat. Ihr kann ich heute keinen Vorwurf machen.“ Er sei optimistisch, dass das Team „in 14 Tagen da unten raus ist“. Im Fußball gehe es ums Toreschießen, allein daran sei Hertha gescheitert. Und: „Tore können weder ich noch der Jürgen Röber schießen.“

Der geballte Zweckoptimismus machte die Frage schwer: Steckt Hertha in der Krise? Michael Preetz wollte den Verein in keiner „handfesten Krise“ wissen, legte sich auf eine „ernst zu nehmende Situation“ fest.

Preetz' Erkenntnisse verlangen nach Deutung. Gräbt man die Bedeutung des Wortes Krise aus, so ist von einer „entscheidenden Wendung“ zu lesen, die sich aus einer „schwierigen Situation“ ableitet. Schaufelt man die „ernst zu nehmende Situation“ frei, so ergibt sich folgendes Bild: Das mittelhochdeutsche ernest transportiert Tugenden wie „Ernst, Eifer, Kampf“, woraus eine gewisse „Festigkeit im Kampf und im Willensentschluss“ folgt. Das sagt der Duden.

Und irgendwie sagten das auch die Herthaner. Sie benutzten kein etymologisches Wörterbuch, die Intuition gab ihnen ein, dass sie gegen die Kicker vom Betzenberg alles gegeben hatten: Ernst, Eifer und Kampf. Deswegen stellte Dariusz Wosz fest, dass es keinen Unterschied zur Champions League gebe. „Das ist alles Blödsinn, es hat nur ein Tor gefehlt.“ Er sieht die Mannschaft auf dem „richtigen Weg“. Auch Libero Kjetil Rekdal sah das Spiel „positiv“, da man sich „aggressiv“ präsentiert habe. Trainer Röber gab zu verstehen, sein Team habe „phasenweise wunderbar kombiniert“.

Wunder – ein Stichwort für Röber. „Ich sage immer, da oben sitzt jemand und irgendwann wird man wieder belohnt, wenn man weiter hart arbeitet“, sagte er. So gesehen, in enger Umschlingung von Herthas hermeneutischem Geschick und den Überlieferungen der Etymologie, kann Berlins crisis, die erneste Situation noch lange anhalten. Aber nur, wenn der Bedeutung auch mal Tore und Punkte folgen.

Hertha BSC: Kiraly – Rekdal – van Burik, Sverrisson – Covic (46. Thom), Schmidt, Wosz, Neuendorf (46. Roy), Michalke – Aracic (46. Preetz), Daei

1. FC Kaiserslautern: Reinke – Ramzy – Koch, Schönberg – Ratinho (69. Buck), Sforza (53. Tare), Roos, Strasser, Wagner – Djorkaeff, Marschall

Zuschauer: 40.992; Tor: 0:1 Strasser (38.)