Der Interviewer

■  Günter Gaus führt seit 36 Jahren seine Gespräche „zur Person“. Heute wird er 70

Als Günter Gaus seine Interviewreihe „Zur Person“ beginnt, ist er 34 Jahre alt. Ein junger Journalist. Anzugträger, Seitenscheitel, Hornbrille. Er formuliert sicher und sprachgewandt. Ein wenig formell aber sehr exakt, immer höflich, sehr norddeutsch, ein Herr.

Günter Gaus leistet sich bis heute ein für das deutsche Fernsehen einmaliges Format: 45 Minuten dauern seine Interviews „Zur Person – Porträts in Frage und Antwort“. Über 200 Interviews sind seit 1963 entstanden, zunächst für das ZDF, dann für die ARD, den WDR und zuletzt den ORB. Seine Gesprächspartner sind Menschen mit interessanten Biografien, oft Außenseiter.

Günter Gaus findet „Leute, die im Mainstream mitschwimmen schon immer langweiliger als Leute, die aus einer Gesinnung heraus oder wegen einer couragierten Haltung von der Mehrheit ins Abseits gedrängt werden.“ Außenseiter haben was erlebt, sind für ihn die „bewegteren Menschen“. Wie er mit diesen Menschen umgeht – aufmerksam, oft hart, doch mit dem festen Vorsatz, ihr Leben und Handeln zu verstehen – machte ihn schnell zum herausragenden Porträtierer, zunächst beim Spiegel, dann bei der Süddeutschen Zeitung. Damals ist das ZDF noch jung und sucht gute Leute, die dem Sender Format verleihen. Was ihn reizte? „Ich war damals im richtigen Alter, was den Ehrgeiz angeht. Ich dachte, warum soll ich's nicht wenigstens versuchen?“

Der Versuch ist ihm nachhaltig gelungen. Nach einem Jahr „Zur Person“ bekommt er 1964 den Adolf-Grimme-Preis für ein faszinierendes Stück Zeitgeschichte. Er interviewt Hannah Ahrend, eine Außenseiterin, einst gelobt, später gescholten. Günter Gaus fragt nach Emanzipation, nach Geltung, nach politischer Verantwortung, nach ihrer Kindheit. Seine Fragen sind kleine Regieanweisungen – für Interviewte und Publikum. Zeit, Raum, Ort, handelnde Personen: „Sie waren damals ...“ Dann führt er Antagonisten ein: „Ihre Gegner behaupten ...“ Gaus korrigiert Antworten, fragt eindringlich nach.

Sein heutiger Redaktionsleiter, Hellmuth Henneberg, nennt die Gespräche „moderierte Interviews“. Günter Gaus nennt sie einen streng strukturierten Fragenkatalog: „Ich beginne mit einer Frage, die Spannung aufbaut, dann kommt ein retardierendes Moment, wieder Spannung, dann eine biografische Notiz, die ich als Pflichtübung vorbereitet habe: 'Zur Person‘.“ Während des Gesprächs nimmt er die Antworten auf, fasst zusammen: „Habe ich Sie richtig verstanden ..., Sie behaupten also ..., darf ich Ihre Aussage so zusammenfassen ...“ Gaus spricht im wirklichen Leben wie vor der Kamera: konzentriert, bedächtig und wortgewandt. „Für mich ist es von entscheidender Bedeutung, auf sprachliche Nuancen zu achten.“ Darum stellten sich viele klingende Namen seinen Fragen: Indira Gandhi, Gustav Gründgens, Rudi Dutschke ...

Seine Fragen brachten viele in Bedrängnis, auch den damaligen Wirtschaftsminister und späteren Kanzler Ludwig Erhard, mit dem Gaus das erste „Zur Person“-Gespräch im Herbst 1963 führte. Der Fernsehrat des ZDF kritisierte prompt seinen Stil: So dürfe man nicht mit Politikern umgehen! Die Fragen seien zu hart, zu unmittelbar! Das Gespräch habe zudem Verhörcharakter gehabt, wegen der Kameraführung: Angeschnittener Hinterkopf, die Kamera beobachtet Gesicht und Hände des Interviewten. Der Zuschauer guckt Gaus dabei über die Schulter. Das ist bis heute so. Michael Naumann, Staatsminister für Kultur, konnte man vor kurzem dabei beobachten wie er seine Hände in die Sessellehnen krallte, als sitze er auf einem Zahnarztstuhl. Bis heute hat Gaus an seinen Fragen nichts geändert, in anderen Sendungen haben die Fernsehräte sich durchgesetzt. Als Programmdirektor des SWF bringt er zwischen 1965 und 1969 wichtige Programminnovationen auf den Weg, dann war er bis 1973 Chefredakteur des Spiegel. 1974 wirbt ihn Willy Brandt ab, und Gaus wird der erste ständige Vertreter in der damaligen DDR. Für ihn sein wichtigster Lebensabschnitt: „In dieser Zeit konnte ich konkret etwas für Menschen tun. Sozusagen für Land und Leute. Das tat mir wohler als die eher unverbindliche Art des Journalismus. Wäre einer der Verträge mit der DDR notleidend geworden, hätte ich diese Möglichkeit nicht mehr gehabt. Diese größere Verbindlichkeit hat mir existenziell wohl getan.“

Heute ist Günter Gaus Mitherausgeber der linken Wochenzeitung Freitag und führt seit 1990 „Zur Person“ für den ORB fort, lädt meist Menschen aus dem Osten ein: Täve Schurr, Kathi Witt oder Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck. Er interessiert sich für deren Schicksale, dafür, was früher war und heute ist. Andere, die diese Haltung gerne bei sich sehen würden, kritisieren ihn dafür: Wolf Biermann, früher mal ein guter Freund, nennt ihn die „letzte Witwe der DDR“. Ganz Diplomat bedauert Gaus die Situation und schweigt.

Früher wurde Günter Gaus als wichtige Stimme, intimer Kenner der Ostseele geschätzt. Weil er immer wieder den Westen kritisierte, zu einem andern West-Ost-Dialog mahnte, wurde er im Westen als rückwärtsgewandter Statthalter der DDR diffamiert. 1990 erscheint seine Erzählung „Wendewut“ über eine fiktive Mitläuferin aus der DDR und ihre Erfahrung mit der neuen Wirklichkeit. Im Osten wurde das Buch aufgenommen als der Versuch, die Menschen in ihren grundlegend veränderten Lebensverhältnissen zu verstehen. Im Westen wurde es vom Spiegel sofort verrissen, von der FAZ als „Ärgernis des Monats“ geehrt.

Jetzt ist Gaus ein Außenseiter. Und morgen befragt ihn Egon Bahr „Zur Person“ (22 Uhr, ORB).

Hardy Prothmann