Ganz normale freundliche Nachbarn

In einem verfallenen Dorf bei Valencia errichteten britische Nazis die „Kommune der freiwilligen Soldaten“ als Unterschlupf. Die Polizei vermutet in ihren Reihen die Bombenleger in Londoner Schwulenbars  ■   Aus Los Pedriches Reiner Wandler

Der Alte im blauen Arbeitsanzug kann es noch immer nicht fassen. „Gefährliche Nazis. Dabei waren das ordentliche Nachbarn“, sagt er. Kontaktscheu seien sie sicherlich gewesen. Der spanischen Sprache nur bedingt mächtig, aber Aktivitäten, die Verdacht erweckt hätten – das kann Landwirt José, der von Frühjahr bis Herbst fast täglich hier hoch in das verlassene Dorf Los Pedriches kommt, nur verneinen.

Vor etwas mehr als drei Jahren kauften „die Ausländer“, wie José die neuen Nachbarn der Einfachheit halber nennt, vier der zwanzig Anwesen in Los Pedriches. Ein fünftes Haus wurde ihnen zur Miete überlassen. Anfänglich hätten ein paar Engländer hier oben gewohnt. „Zum Schluß waren nur noch zwei Polen da“, erzählt Josés Freund Miguel, der Hirte, der jeden Tag auf dem Rücken seines weißen Esels eine beachtliche Schafherde über die Weiden rund um den Ort treibt. Im Sommer und in der Osterwoche seien auch schon mal Leute von außerhalb zu Besuch gekommen, meist in Wagen mit ausländischem Kennzeichen. „Mitte November, als das mit den Artikeln in den Zeitungen und den Berichten im Fernsehen losging, sind sie verschwunden“, erzählt er.

Miguel und José staunten nicht schlecht angesichts dessen, was da veröffentlicht wurde. Die drei Gebäude, deren erste Phase des Wiederaufbaus mit dem Richtfest abgeschlossen wurde, sollten der britischen Nazigruppe International Third Position (ITP) als Unterschlupf und Schulungszentrum dienen, das erfuhr die Madrider Tageszeitung El Pais aus einer Quelle im Innenministerium. Die ITP, so stand bald überall zu lesen, war die Organisation, in deren Reihen die britische Polizei die Verantwortlichen für die Bomben gegen Bars von Homosexuellen in London sucht.

„Unglaublich. Das waren doch so nette Leute. Und sie haben immer anstandslos bezahlt“, schüttelt Jesús, der Besitzer der Kneipe La Fuente Chica am Ortseingang von Caudete unten an der Autobahn, den Kopf. Die beiden Polen und zuvor auch einige Engländer, gehörten zu seinen Stammgästen. „Politisiert oder gar einen Streit vom Zaun gebrochen? Nein, das waren ruhige, angenehme Gäste“, beteuert der Wirt. Er war der Letzte, der die beiden gesehen hat. „Vergangenen Samstag kamen sie früh morgens und ließen ein paar große Reisetaschen hier. Etwas später holten sie die dann wieder ab“, erzählt Jesús.

Wie sie von Los Pedriches hier herunter gekommen sind – ihr Motorrad steht noch immer oben in der Garage – darüber weiß der Wirt ebenso wenig, wie über ihr Reiseziel, ob sie im Bus nach Valencia fuhren oder abgeholt wurden. Doch kaum waren sie weg, begann die Belagerung durch Fernsehen und Fotografen, einige davon eigens aus London angereist. Sie fanden nichts weiter vor als ein Haus mit fest verschlossenen Fensterläden und ein paar Unterhosen, die jemand auf der Wäscheleine vergessen hatte.

Luis Beltrán, bis im Frühsommer diesen Jahres Bürgermeister von Venta del Moro auf dessen Gemarkung Los Pedriches liegt, erinnert sich noch genau an den ersten Besuch der neuen Nachbarn auf dem Rathaus. Es war im Mai 1996. „Ein Anwalt aus Valencia kaufte im Auftrag von zwei Italienern vier Häuser und das dazugehörige Land“, erzählt der Sozialist, der die Grundbuchänderung vornahm. „Angeblich wollten sie einen landwirtschaftlichen Lehrbetrieb gründen.“ Verdacht hatte auch er nicht geschöpft. Jetzt entpuppte sich der „freundliche Herr“ als Fernando Pazos, Anwalt der spanischen Rechtsradikalenszene. Und bei den beiden Italienern handelt es sich um Roberto Fiore und Massimo Morsello, Mitglieder der italienischen Gruppe Bewaffneter Revolutionärer Kern (ARN), die unter anderem in den Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna, bei dem im Jahre 1980 85 Menschen ums Leben kamen, verwickelt war. Die beiden leben im Exil in London, nachdem sie in ihrer Heimat in Abwesenheit zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Das Geld zum Kauf und zum Aufbau der Ruinen in Los Pedriches stammt von der rechtskatholischen britischen Vereinigung Heiliger Erzengel Michael.

Und die Wochenendbesucher waren zumindest in einem Falle alles andere als harmlose Ausflügler. „Kameraden aus Spanien, Polen, Frankreich und England hören begeistert Worte der Weisheit“, heißt es unter einem Foto in einem internen Rundbrief der britischen Naziszene. Das Bild, auf dem 21 junge Männer zu sehen sind, wurde vor einem Jahr in Los Pedriches „in der Kommune der freiwilligen Soldaten“ aufgenommen.

Von alle dem haben wir nichts mitbekommen. Die Gegend ist ja geradezu ideal für solche Leute“, sagt Ex-Bürgermeister Beltrán. Abgelegen und doch gut erschlossen, liegt Los Pedriches am Ende einer holprigen Landstraße, die in nur zehn Minuten auf die Autobahn führt. Madrid 269 Kilometer, Valencia 89 steht da geschrieben. Polizei ist in Venta del Moro mit seinen fünf verstreuten Siedlungen und 1.750 Einwohnern ein Fremdwort. „Gemeindepolizei gibt es nicht, und die Guardia Civil zog 1991 aus der Gegend ab“, berichtet der ehemalige Bürgermeister und Chef der Landwirtschaftsgewerkschaft im Kreis. Die Gemeindebeamten verschlägt es so gut wie nie nach Los Pedriches. Seit Anfang der Siebzigerjahre steht das Dorf leer. „Die Einwohner sind alle in die großen Städte oder ins Ausland gegangen. Ein paar Bauern und Hirten kommen gelegentlich noch dort hin. Über Nacht bleibt keiner“, so Beltrán. Seit dreizehn Jahren ist Los Pedriches nicht einmal mehr zur Bebauung freigegeben.

Nur einmal wurden die ausländischen Nachbarn auffällig. „Im Karneval 1998 suchten zwei Briten im Suff Streit“, erzählt Beltrán. Nachdem sie des Festes verwiesen wurden, schmissen sie die Scheiben des Rathauses ein. Die Guardia Civil begann zu ermitteln. „Am Tag nach der Anzeige wurde die Fassade des Rathauses und das Gemeindeauto mit Hakenkreuzen beschmiert“, berichtet der Ex-Bürgermeister, der sich sicher ist, dass die Guardia Civil damals auf die internationalen Verbindungen der Truppe stieß.

„Der Presserummel hat sie erst einmal vertrieben“, freut sich Luis Beltrán. Vielleicht zu früh. Aus Barcelona ging im Rathaus ein Anruf ein, um Solidaritätskundgebungen mit den britischen Gesinnungsgenossen anzukündigen. Und oben in Los Pedriches hat irgendjemand in der vergangenen Nacht in der Küche frisches Futter und Wasser für die Katze aufgestellt.