Virtuose Solistin

■ Das Philharmonische Staatsorchester widmete sich Johannes Brahms

Die Wiedergabe eines Solokonzertes hat die erste Konzertmeisterin des Philharmonischen Staatsorchesters nicht in ihrem Vertrag. Die Entscheidung der Philharmonischen Gesellschaft, Anette Behr-König darum zu bitten, war also eine künstlerische und darüber hinaus eine intern sinnvolle im 175. Jubiläumsjahr des Orchesters. Wie sehr das Sinn macht, zeigt sich freilich erst im konkreten Ergebnis, und das konnte sich ohne Einschränkungen großartig hören lassen.

Dass Anette Behr-König für ihren Soloauftritt das Violinkonzert D-Dur, op. 77 von Johannes Brahms wählte, ist nicht unbedingt verwunderlich, aber doch auffällig. Denn dieses Konzert verweigert bei kompliziertesten Konstruktionen – was man bei der atemberaubend arbeitenden Interpretin eher sah als hörte – das vordergründig geigerische und virtuose. Der Solopart klinkt sich vollkommen dialogisch in den Orchesterpart ein. Der große Virtuose des 19. Jahrhunderts, Pablo de Sarasate, soll gesagt haben, es sei eine Zumutung, im Adagio „mit der Geige in der Hand zuzuhören, wie die Oboe dem Publikum die einzige Melodie des ganzen Stückes vorspielt“.

Diese Art von Integration, die die spezifische Ästhetik des Werkes ausmacht und die rein äußerlich der beruflichen Position der Geigerin zu entsprechen scheint, entfaltete Anette Behr-König im mucksmäuschenstillen großen Glockensaal wunderbar. Voller Klangfarben und gleichzeitig glasklarer Struktur ihr Dialog mit dem Orchester. Massimo Zanetti – nun als Generalmusikdirektor in Antwerpen wirkend – war zurückgekommen, um die vertrackte, selten direkt effektvolle Ziselierbarbeit zu begleiten.

Er tat es bei aller Aufmerksamkeit ein wenig zu schwülstig, so dass dem Orchester manches zu unsensibel und zu laut geriet. Gut arbeitete er jedoch die schwer zugängliche, ja ungemütliche Rhythmik heraus, die weit in die Zukunft weist und die Arnold Schönberg in seinem 1947 erschienenen Aufsatz „Brahms The Progessive“ neben den Klangfarbenwechseln auch gemeint hatte. Mittendrin und über allem Anette Behr-König mit einer überragenden Leistung, die sich vollkommen in den Dienst des Werkes stellte.

Wie kaum eine seiner vier Sinfonien kann die dritte in F-Dur ihren historischen Stellenwert verdeutlichen, mit dem Johannes Brahms 1883 ebenso auf traditioneller thematischer Arbeit beharrt wie in Rhythmik und Harmonie das zwanzigste Jahrhundert vorbereitet. Deutlich wurde in der Wiedergabe durch Massimo Zanetti, dass es oszillierende Klangräume gibt, dass Klangkomplexe sich schwebend fortbewegen, dass es im zweiten Satz sogar so etwas wie einen Zerfall gibt. Nicht kopfige und bemühte Konstruktion, wie Hugo Wolf es Brahms vorwarf, sondern ein innerlich brodelnder Gesamtorganismus entstand unter Massimo Zanetti.

Noch schöner wäre die Wiedergabe gewesen, wenn nicht zu viele piani als mezzoforte herausplatzten und noch schöner, wenn Klangfarben mehr Charakter bekommen hätten. Aber dies eine allenfalls kleine Einschräkung gegenüber einer überzeugenden Konzeption, die ganz auf das wuchtig sich entfaltende Finale hinzielte.

Ute Schalz-Laurenze