Ladybodydingsbums    ■ Von Fanny Müller

Das mit Sigrid Palm und ihren Kniestrümpfen fand ich obszön, d. h., damals kannte ich das Wort noch nicht; ich fand es einfach unanständig von Sigrid Palms Mutter, dass Sigrid, die in der 2. Klasse neben mir saß, schon im März Kniestrümpfe anziehen durfte.

Während ich braune lange Strümpfe tragen musste, die vermittels zweier Groschen und einer Art Metallschlaufe am Leibchen festgemacht waren. Groschen deswegen, weil die dafür vorgesehenen Knöpfe immer gleich kaputt gingen. „Du bist nicht Sigrid Palm!“, sagte meine Mutter auf mein inständiges Flehen, was ja stimmte, und ich sagte „Scheiße“, woraufhin ich eine Ohrfeige bekam. Gleichzeitig erhielt ich die Instruktion, dass Mädchen „Mist!“ sagen dürfen, allenfalls noch „Scheibenkleister“.

Inzwischen hat sich da ja einiges verändert. Kürzlich ging ich an einer Schule in St. Pauli vorbei, als die Kinder herausstürzten. „Tschüs Fotze, bis nachher!“ rief ein kleines Gör seiner Freundin zu. Dass ich das nun richtig gut finde, kann ich auch nicht sagen. Aber: The times they are a-changing. Früher z. B. galt die Parole, dass man nur Bücher im Haus haben dürfe, die ein junges Mädchen ohne Erröten lesen kann, während man heute auf die Nerven der Großmütter Rücksicht nehmen muss. Und bitte auch auf die der Großtanten: Telefon Sonntagmorgen um acht. „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben beim Glücksrad gewonnen!“ Was? Glücksrad? Das gucke ich nie, aber vielleicht hat Birgitta, die sich jeden Scheiß ansieht, meinen Namen ...

„Sie haben Waren im Wert von 500 Mark gewonnen“, erläutert der Herr, „aber ich sage Ihnen gleich, wir können das nicht bar auszahlen, sondern schicken es per Post, deshalb haben wir noch ein paar Fragen.“ Ich höre im Halbschlaf was von Dessous, Ladybodydingsbums und irgendwas mit Hair. „Welche Kleidergröße tragen Sie? Und welche BH-Größe?“ Ich werde etwas wacher: „Gott, ich trage eigentlich keine BHs ...“ Aber dann gebe ich doch 85 B an, das Zeug kann ich ja Birgitta zu Weihnachten ... Das Gespräch wendet sich dem Ladydingens zu. Ich werde etwas unwirsch: „Schicken Sie's doch einfach, ist doch egal.“ So egal sei das nicht, man könne ja nicht auf Verdacht ... „Wie ist denn Ihr Haartyp – wenig, mittel, füllig?“ Ich fasse mir an den Kopf: „Soll ich jetzt meine Haare zählen oder was?“ Soll ich nicht, denn, so der Anrufer: „Ich meine die Körperbehaarung, es gibt verschiedene Stärken bei unseren Geräten.“ Langsam fällt bei mir der Groschen. Ich fange mit Mist und Scheibenkleister an, besinne mich, beginne von vorne mit Arschloch und bin bei Wichser noch lange nicht am Ende. Da hat er aber schon aufgelegt.

Obszönitäten schlimmerer Art kriegt man manchmal nach Lesungen zu hören. Vorletzten Sonntag erst. Da kommt hinterher ein junger Mann auf mich zu, der an sich relativ zurechnungsfähig aussieht und fragt, ob ich einen Verlag wüsste ... er schreibe nämlich „kritische Lyrik“. Und setzt hinzu: „... immer mit dem Finger in der offenen Wunde, wissen Sie ...“ (weiß ich nicht) und an wen er sich damit wenden könne. „Am besten an einen Arzt“, hätte ich fast gesagt. Aber das hab ich mir dann doch verkniffen. Man möchte unsere kritischen jungen Dichter ja nicht vor den offenen Kopf stoßen.