Gerangel um Bioethik-Kommission

Erst wurde die Enquetekommission zur Bioethik im Bundestag gekippt. Jetzt soll sie doch noch kommen. Wann sie die Arbeit aufnimmt, ist noch ungewiss  ■   Von Klaus-Peter Görlitzer

Die Bioethik-Konvention stößt seit Jahren auf Widerstand, weil sie erlaubt, was in Deutschland verboten ist

Das Tauziehen um die Frage, ob der Bundestag eine Enquetekommission zu Medizinethik und Medizinrecht einsetzen soll oder nicht, geht in die entscheidende Phase. Der SPD-Fraktion liegt ein neuer Antrag vor, der die Einrichtung des mit ParlamentarierInnen und Sachverständigen besetzten Politikberatungsgremiums empfiehlt; die Entscheidung soll spätestens im Dezember fallen.

Das geplante Aufgabengebiet der 30-köpfigen Enquete, deren Zusammensetzung die Stärke der Fraktionen im Bundestag widerspiegeln wird, ist sehr umfangreich: Beleuchtet werden sollen unter anderem technischer Stand und Rechtslage zu Themen wie vorgeburtliche Diagnostik, künstliche Befruchtung, Gentests, Gentherapie, Keimbahnintervention, Embryonenforschung, Klonierung menschlicher Organe, Transplantation menschlicher und tierischer Körperteile, medizinische Versuche mit Menschen sowie die Verteilung knapper Ressourcen im Gesundheitswesen.

Der Antrag pro Kommission stammt aus der Feder einer SPD-internen Arbeitsgruppe um den Gesundheitspolitiker Wolfgang Wodarg, der sich in der vergangenen Legislaturperiode in einem überfraktionellen „Bündnis für Menschenwürde“ mit ParlamentarierInnen wie Monika Knoche (Grüne) und Hubert Hüppe (CDU) beharrlich um medizinethische Themen gekümmert hat. Knoche hatte bereits vor einem Jahr eine Medizinethik-Enquete gefordert.

Nun rechnet Wodarg fest damit, dass seine Fraktion, die Ende September noch mit Zweidrittelmehrheit gegen eine Medizinethik-Enquete votiert hatte, dieses Mal dafür stimmt. Ausschlaggebend für die Meinungsänderung dürfte der außerparlamentarische Druck sein, der auf die Verweigerung gefolgt ist und immer noch anhält: Zahlreiche Sozial- und Behindertenverbände, Anti-Bioethik-Initiativen und Einzelpersonen überschütteten Bundestag und Regierung in den vergangenen Wochen mit Protestbriefen und machten sich für die Enquete stark. Die bündnisgrüne Fraktion reagierte schneller als der große Koalitionspartner und hat inzwischen klargestellt, man sei nun geschlossen für die Kommission.

Wenngleich der Stimmungswandel bei Roten und Grünen sicher zu sein scheint und auch Unionsabgeordnete wie Hüppe die Unterstützung des Vorhabens zugesagt haben, ist fraglich, wann die Ethik-Enquete ihre Arbeit aufnehmen kann und was sie überhaupt wird bewirken können. Im Antrag, den SPD und Grüne nach den Wünschen Wodargs und Knoches Anfang 2000 gemeinsam ins Parlament einbringen sollen, gibt es keinen konkreten Termin für die Einsetzung der Kommission. Ungewiss ist daher, ob sie tatsächlich in der ersten Hälfte nächsten Jahres starten kann.

Dabei hat die Bundesregierung bereits Reformen in Aussicht gestellt, die das Aufgabengebiet der Enquete berühren. Beispielsweise hat Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) ein „Fortpflanzungsmedizingesetz“ angekündigt. Es soll unter anderem klären, ob Techniken wie Präimplantationsdiagnostik (Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind) oder Klonierung embryonaler Stammzellen zu therapeutsichen Zwekken hierzulande weiterhin verboten bleiben sollen oder nicht.

Dass Regierung und Parlament vor Verabschiedung solcher Gesetze die Empfehlungen der Enquetekommission abwarten müssen, ist im Antrag von Wodarg und Parteifreunden nicht vorgesehen. Immerhin sollen Bundestagsgremien wie die Ausschüsse für Recht, Forschung oder Gesundheit künftig Enquete-Expertisen zu anstehenden Gesetzen anfordern dürfen; der Abschlussbericht der Kommission soll laut Antrag bis Frühjahr 2002 vorliegen.

Als das lange angekündigte Ethikgremium im September plötzlich zu kippen schien, befürchteten Verbände wie die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, nun werde auch das umstrittene Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin (kurz Bioethik-Konvention) des Europarates wieder auf die politische Tagesordnung kommen. Der Vertrag stößt seit Jahren auf Widerstand, weil er erlaubt, was in Deutschland verboten ist: Medizinexperimente mit nicht einwilligungsfähigen Menschen, Forschung und Gentests an Embryonen, Weitergabe von Gentest-Ergebnissen an Arbeitgeber und Versicherungen.

Inzwischen haben sechs Staaten den Völkerrechtsvertrag ratifiziert und damit bekundet, ab Dezember ihre nationalen Gesetze an die Vorgaben der Konvention anzupassen; Deutschland gehört nicht dazu. Doch auch hierzulande stehen einflussreiche Politker wie Forschungsstaatssekretär Wolf-Michael Catenhusen (SPD) oder der Forschungspolitiker Werner Lensing (CDU) längst in den Startlöchern. Sie wollen nächstes Jahr eine parlamentarische Debatte zur Zeichnung und Ratifizierung des Völkerrechtsvertrages anzetteln, obwohl rund drei Millionen Menschen mit ihrer Unterschrift gegen das Abkommen protestiert haben und der Bundestag bisher keinen Anlass zum Beitritt Deutschlands zur Konvention sah.

Fraglich ist, ob die Enquete die ablehnende Haltung von Parlamentsmehrheit und Öffentlichkeit untermauern wird. „Sie soll“, heißt es im Einsetzungsantrag zum Auftrag der Kommission, „insbesondere Empfehlungen zum weiteren Umgang mit dem Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates und den entsprechenden Zusatzprotokollen vorlegen.“ Eine klare Absage an die Bioethik-Konvention und deren Inhalte ist diese Formulierung nicht; sie lässt Türen offen für Kompromisse und Empfehlungen, die aufweichen könnten, was hierzulande bislang durch Gesetze gefestigt ist: etwa das Verbot von Techniken wie Klonen und Präimplantationsdiagnostik, von Experimenten mit Embryonen oder von fremdnütziger Forschung mit altersverwirrten, bewusstlosen und geistig behinderten Menschen.

„Die Enquetekommission“, verheißt die Begründung des Antragstextes, „sollte durch die Einbeziehung der Öffentlichkeit auch eine neue Kultur der Offenheit, Transparenz und Beteiligung in der Ethik-Debatte begründen.“ Zu diesem Zweck regt Sozialdemokrat Wodarg an, neue Beteiligungsformen zu erproben, welche herkömmliche Enquete-Instrumente wie Anhörungen, Symposien und Gutachten ergänzen sollen. Wodarg denkt daran, verstärkt Techniken wie Internet, Mailing-Listen und E-Mails zu nutzen. Auf diese Weise könne die Kommission kontinuierlich in Verbindung und Austausch mit Verbänden, Initiativen und interessierten BürgerInnen stehen. Noch offen ist allerdings, ob und wie die erwünschten außerparlamentarischen Beiträge verbindlich in Papiere der Enquete einbezogen werden sollen.