Hannibal the Cannibal im Wilden Westen

■ In dem Kinofilm „Ravenous – Friss oder stirb“ interpretiert die britische Regisseurin Antonia Bird den amerikanischen Traum unappetitlich. Wirklich ziemlich unappetitlich

Hier haben wir es zweifellos mit der besten Kannibalen-Tragikomödie aller Zeiten zu tun. Zugegeben, kein allzu riesiges Genre. Dabei erinnert die Grundkonstellation erst einmal an „Der mit dem Wolf tanzt“. Ein hoch dekorierter, aber vom Kriegshandwerk depremierter Soldat wird auf einen Außenposten am Ende der Welt versetzt. Auf Kevin Costner warteten am Rande der Prärie allerdings ein endloser Horizont und höchst umgängliche edle Wilde, auf Guy Pearce nur das runtergekommene Fort Spencer voller durchgeknallter Vögel, gelegen in den düsteren Bergen der Sierra Nevada, die in diesem Fall allerdings an der slowakisch-tschechischen Grenze abgefilmt wurden.

Im Fort wird komisches Kraut geraucht und manches getrunken. Den dadurch hervorgerufenen Nebel durchbricht schließlich Robert Carlyle, der hier die endgültige Version seines bekannten schottischen Madman abliefert, von dem uns ein weiterer, eher fader Abklatsch im kommenden James Bond erwartet.

Carlyle spielt in einem Plot, der vom berühmten Donner-Treck aus dem Jahre 1846 inspiriert scheint, den letzten Überlebenden einer Siedlergruppe, die eingeschneit wurde und sich gegenseitig aufaß. Doch anstatt wie im echten protestantischen Leben von Gewissensbissen geplagt zu werden, fühlt sich der Kannibale ganz prächtig. „Ich habe fünf Menschen in drei Monaten gegessen“, sagt er, „meine Tuberkulose ist verschwunden.“ Tatsächlich wird er einem Übermenschen immer ähnlicher, je mehr Artgenossen er zu sich nimmt. Schließlich können ihm nicht einmal mehr Kugeln etwas anhaben. Auf was immer sich das Gemetzel als Allegorie auch lesen ließe, geht allerdings in Blut, Fleisch, Schweiß und Matsch unter. Was bleibt, ist ein militantes Plädoyer für das Leben als Veganer.

Natürlich wäre „Ravenous“ ohne ein wenig Humor nicht zu ertragen. Wenn man sich besonders unruhig auf dem Sitz windet, findet sich dann doch der eine oder andere Scherz. Jedenfalls für Leute, die es lustig finden, wenn Gliedmaßen abgesägt und zu Eintopf verarbeitet werden. Monty Python oder auch Peter Jackson sind zumindest eine entfernte Ahnung.

Aber grundsätzlich ist der Schrecken hier ständiger Begleiter, nur gebrochen vom Soundtrack. Michael Nyman („Das Piano“) und Damon Albarn (Blur) illustrieren das Abschlachten schon mal mit hysterischer Square-Dance-Musik. Man hätte gespannt sein dürfen, was die Coen-Brüder aus diesem Drehbuch gemacht hätten; so wurde während der Produktion Regisseur Milcho Manchevski gefeuert und durch Antonia Bird („Priest“) ersetzt, die mit Carlyle schon in „Face“ zusammengearbeitet hatte.

Im Showdown gesteht Carlyle, welch aufklärerische Absicht eigentlich hinter dem Guinessbuch-verdächtigen Gegrusel steckt. Er lebe doch nur den amerikanischen Traum, meint der Kannibale. Die USA – eine Nation von Menschenfressern, will uns die hoch moralische Schlachtplatte mitteilen, und in Fort Spencer, California, hat alles begonnen.

Thomas Winkler
‚/B‘ „Ravenous“. Regie: Antonia Bird. Mit Guy Pearce, Robert Carlyle, David Arquette, Jeremy Davies. USA 1999, 100 Min.