Es entstehen ethnische Enklaven“

■ Die Gewalt in Nigerias Ölgebieten, auf die die Regierung mit Militär reagiert, wird von Ölkonzernen geschürt, sagt Bürgerrechtler Chima Ubani

Chima Ubani ist Menschenrechtsbeauftragter der nigerianischen Bürgerrechtsbewegung „Civil Liberties Organisation“ und Generalsekretär der unregistrierten Partei „Democratic Alternative“.

taz: Im Nigerdelta gibt es nicht nur Gewalt des Staates gegen die Bevölkerung, sondern auch immer mehr Gewalt zwischen ethnischen Gruppen. Wie erklären Sie dieses Phänomen?

Chima Ubani: Das hängt mit Streit um Ressourcen und um territoriale Kontrolle zusammen. Es finden Neuaufteilungen der Region statt, bei denen ethnische Enklaven entstehen. Damit wollen einzelne Gemeinschaften sicherstellen, dass sie eigene Gemeindeverwaltungen bekommen. Eine Gemeindeverwaltung bedeutet Selbstverwaltung und Zufluss staatlicher Mittel.

Es gibt auch Fälle, wo sich zwei Gruppen um das Eigentum eines Ölfördergebietes streiten, für dessen Nutzung Ölfirmen aber nur einer Gruppe Schadenersatz zahlten. Die Ölkonzerne wollen arbeiten, ohne mit den Leuten zu verhandeln. So bevorzugen sie eine Gruppe und heuern dann von dieser Gruppe arbeitslose Jugendliche an, um ihre Förderinstallationen zu verteidigen. Wenn die Installationen dann von der anderen Gruppe angegriffen werden, kommt es zum Kampf zwischen Jugendlichen zweier Gruppen. Das ist wie in Südafrika in den frühen 90er Jahren bei den Township-Kriegen zwischen ANC und Inkatha: Die Regierung schürte ethnische Gewalt durch geheime Finanzierung, aber nach außen sah es aus wie ein Krieg von Schwarz gegen Schwarz.

Aber in Südafrika gab es doch unter ANC-Jugendlichen eine extreme Gewaltbereitschaft. Und Nigerias regimefeindliche Milizen sind auch nicht gerade zimperlich, oder?

Wir sind uns bewusst, dass ethnischer Nationalismus auch eine Rolle spielt. Organisationen wie der „Ijaw Youth Congress“ oder die Yoruba-Gruppe „Oodua People's Congress“ definieren ihre Identität auf ethnischer Basis, und Ethnizität wird zentral in ihrer Analyse. Natürlich kommen Fragen der Umweltzerstörung, der sozialen Gerechtigkeit und der demokratischen Partizipation dazu, im Nigerdelta sogar die Geschlechterfrage. Aber die Gruppen formulieren dies in ethnischen Kategorien und verprellen damit andere. Wir müssen Plattformen aufbauen, die die ethnischen Grenzen überwinden und die gemeinsame Sache artikulieren.

Unter den ethnischen Milizen fallen die sogenannte „Egbesu-Jungen“ des Ijaw-Volkes auf, der größte Ethnie des Niger-Deltas. Was ist das?

„Egbesu“ ist eine kulturelle Institution, die für Reinheit und Gerechtigkeit steht; sie ist Hüterin der oralen Tradition des Ijaw-Volkes und seiner Rituale. Sie besteht aus der geistigen Führung der Ijaws, die sich zurückgezogen hatte, als die Macht der Ölkonzerne die religiösen Traditionen verdrängte. Da gibt es natürlich viel Mythologie. Zum Beispiel macht man Jugendliche rituell unverwundbar. Da die ja dann trotzdem in großer Zahl umgebracht werden, ist das sehr problematisch.

Kann Nigerias Regierung überhaupt das Niger-Delta wieder unter ihre Kontrolle bringen?

Die Regierung hat nur eine Methode: Gewalt und noch mehr Gewalt. Sie schickt mehr Soldaten, mehr Kriegsschiffe, mehr Hubschrauber, um mehr Dörfer zu bombardieren. Das löst aber nicht das Problem. Die Leute kämpfen nicht um abstrakte Ideen, sondern um ihr Überleben.

Interview: Dominic Johnson