■ Daumenkino
: Wonderland

So schnell wie sich die Kamera an die Fersen der drei Schwestern heftet, so schnell ist man auch mittendrin in ihrem Leben. Man ahnt, dass Nadias quirlige Zöpfchen kecker wirken als das, was sich dahinter verbirgt – eine einsame junge Frau, die verdammt noch mal morgens geborgen in jemandes Armen aufwachen möchte. Aber auch das nächste Blind Date geht wieder in die Hose.

Das Beste aus ihrer beschissenen Situation versucht die ältere Debbie zu machen. Für jede Lebenslage hat die Friseurin sowohl einen knalligen Spruch als auch einen Typen auf Lager, den kleinen Jack zieht sie allerdings alleine groß. Bleibt das sommersprossige Nesthäkchen Molly, gerade schwanger, doch irgendwie scheint die schöne Wohnung für sie und ihren Mann plötzlich eine Nummer zu groß. Drei Schwestern auf der Suche nach dem Quentchen Zufriedenheit, dass das Leben ein bisschen lebenswerter macht. Nicht weniger, aber auch nicht mehr hat Michael Winterbottom in diesem Film zu erzählen.

Über weite Strecken gehört „Wonderland“ tatsächlich zu diesen kleinen Wunderwerken der britischen Kinokunst, deren Alltagshelden man einfach nicht widerstehen kann. Zu den Filmen, die voller Herzensgüte stecken, ohne dabei ins Sentimentale abzudriften, die ihre Dramaturgie schlicht und ergreifend aus dem Leben ziehen, das sich vor unser aller Haustür abspielt. Doch dann stellt sich der Regisseur uns, seinem Film und sich selbst in den Weg. Mit manieristischem Heckmeck zerstört er genau die Vertrautheit, die er gerade so kunstvoll unkunstvoll geschaffen hat.

Warum muss man Nadia beim Spazierengehen durchs nächtliche London via Zeitraffer aus den Augen verlieren und damit auch ihre Geschichte? Was haben auf der Tonspur die großen Töne von Michael Nyman zu suchen, die die Schicksale der Schwestern förmlich synthetisieren? Was muss Winterbottom uns und sich mit solchen Stilmitteln beweisen?

Als der Brite 1995 mit „Butterfly Kiss“ sein Kinodebüt vorlegte, war er bereits ein gestandener Fernsehregisseur. Seitdem vergeht kaum ein großes Festival, ohne dass der Fleißarbeiter eine neue Arbeit vorstellt. Sein ständig wechselnder Stil prädestiniert ihn gewissermaßen für solche Events. Doch diese Formverliebtheit hat manchmal etwas Zwanghaftes, das sich vor die Geschichten stellt. Die ausgetüftelte Farbgebung in „I want you“ verschluckt die Sehnsüchte der Figuren, während man in „Jude“ nicht genau weiß, ob nun die vielen Schicksalsschläge das Leben so grau und schwer erscheinen lassen oder der permanente Regenschleier im Bild. Handwerkliches Geschick macht noch lange keinen Visionär – bestenfalls macht Michael Winterbottom großes Fernsehen, aber kein großes Kino.

Anke Leweke
‚/B‘ „Wonderland“. Regie: Michael Winterbottom. Mit: Gina McKee, Molly Parker u. a. USA 1999, 90 Min.