Warten auf den großen Frost

In vielen zerstörten Dörfern des Kosovo hat der Wiederaufbau noch nicht begonnen. Die Menschen leben in Zelten und versuchen, sich für den Winter zu wappnen  ■   Aus Pristina Erich Rathfelder

Der Nebel lässt nur die nächsten Häuser, die direkt an der Straße liegen, schemenhaft erkennen. Es sind nur Ruinen, die hier, in Retimje, einem Dorf nahe der Stadt Orahovac im Westen Kosovos, zu sehen sind. In den Bergen fällt schon Schnee. Frierend erwarten einige Menschen die Besucher. Islam Thaci und seine Familie sind am 17. Juli 1999 aus Albanien wieder in ihr Dorf zurückgekehrt. „Wir fanden nur noch Trümmer vor, die Serben haben dieses Dorf schon Ende August 1998 kurz und klein geschlagen“, sagt der 40- jährige Mann, der sich mit Frau, der Mutter und den sieben Kindern in einem Zelt eingerichtet hat.

Natürlich versuchte er in den letzten Monaten sein Haus aufzubauen, den Keller konnte er noch abdichten, auch einen Raum im Erdgeschoss. Die Fenster jedoch fehlen, als Tür dient ein ausgedienter Teppich. „Ich hatte kein Geld, das Material zu kaufen, wir sind ja nur einfache Bauern“, sagt er. Im Zelt sei es immerhin noch trocken, ein Öfchen spende etwas Wärme. „Aber wie wird es sein, wenn der Frost kommt?“

Hilfsorganisationen hätten sich hier nicht blicken lassen. Lediglich die britische Organisation „Tearfund“ sei aufgetaucht und hätte Material für den Wiederaufbau versprochen. „Davon haben wir bisher nichts gesehen“, sagt Islam Thaci. Strom gebe es auch nicht, das Wasser müsse von einem Brunnen geholt werden.

Viele Menschen hier leben in Kellern und versuchen, sich für den Winter zu wappnen.Wie Ahmet Elshani. Auch er hat nach seiner Rückkehr ein völlig zerstörtes Anwesen vorgefunden. Der Keller, in dem er jetzt mit seiner sechsköpfigen Familie lebt, ist klamm und kalt. „Hier kann ich die Kinder nicht überwintern lassen“, sagt der Mann. Er werde sie wieder zurück nach Prizren zu Verwandten bringen. „Erst im Frühjahr können wir mit dem Wiederaufbau beginnen.“ Er hofft, dann internationale Hilfe zu erhalten. Im Nachbardorf Opterusha sei das deutsche Technische Hilfswerk aktiv. „Dort sind schon die meisten Dächer wieder repariert“, sagt er.

Ja, im nächsten Frühjahr. Dann werde auch sein Bruder Selemi wieder zurück sein. Jetzt sei er noch in ärztlicher Behandlung. Selemi Elshani war nach der serbischen Offensive im August 1998 nach Velika Krusha geflohen. Als nach den ersten Natobomben am 25. März 1999 serbische Streitkräfte auch dieses Dorf angegriffen haben, gehörte er zu jenen Männern und Frauen, die, in einem Haus gefangen, verbrannt werden sollten. Das Massaker, die dort verkohlten Leichen, hat viele westliche Politiker nach dem Einmarsch der Nato nach Velika Krusa geführt. Selemi Elshani aber war es gelungen, aus dem brennenden Haus zu fliehen und sich trotz starker Verbrennungen nach Albanien durchzuschlagen.

Der Krieg kostet nicht nur Opfer, er schafft auch Helden. Selimi Elshani gehört dazu. Sein Bruder ist stolz auf ihn, die Nachbarn sprechen mit Ehrfurcht und Respekt über ihn. Doch die Gedanken an ihn werden bald verdrängt. Beim Dorfladen ist eine Ladung humanitärer Hilfe eingetroffen. Geduldig stehen die Menschen an, um etwas Mehl und einen Liter Öl in Empfang zu nehmen.

„Dies hier war einmal ein reiches Dorf“, sagen zwei Brüder, die aus der Schweiz kommen und das Anwesen der Familie in Augenschein nehmen. Auf dem Innenhof bietet sich das übliche Bild. Hier türmt sich der Schutt, der von den beiden zweistöckigen Wohnhäusern stammt, von denen nur noch die ausgebrannten Außenmauern stehen. „Das Haus hier linker Hand haben wir erst vier Wochen vor seiner Zerstörung im August 1998 fertig gestellt.“ Im nächsten Jahr beginne der Wiederaufbau. Die beiden sind guten Mutes. Sie können in die Schweiz zurückkehren und Geld verdienen.

Der Automechaniker Mehmet H. jedoch weiß nicht, wie es weitergehen soll. Das Haus mit seiner Werkstatt ist zwar noch weitgehend intakt, die Werkzeuge, die Maschinen, gekauft für 50.000 Schweizer Franken, haben die abziehenden Serben gestohlen. Jetzt habe er nicht einmal mehr einen Schraubenzieher. Er blickt auf den Innenhof, wo sich Schutt und Autowracks türmen. Und erinnert sich an die Kämpfe. Denn er war als Kämpfer der UÇK in der Region geblieben.

Am 17. Juli 1998 seien die acht serbischen Familien des Dorfes nach einigen Schießereien abgezogen, einige der serbischen Männer seien bei der Polizei und den Milizen gewesen. Die UÇK hätte hier zunächst die Übermacht gehabt. Ende August seien serbische Truppen eingerückt und hätten das gesamte Dorf zerstört, auch die „serbischen Häuser“. Die UÇK hätte das Dorf nicht verteidigen können. „Wir sind wieder zurückgekommen.“ Sechsmal sei in diesem Dorf gekämpft worden, die UÇK habe sich zurückgezogen, die Serben seien hereingekommen, hätten das Dorf aber immer wieder verlassen müssen. „Das war im Krieg.“ Jetzt müsse man von vorne anfangen. Und das Wichtigste: „Erst mal den langen und kalten Winter überstehen.“