Welthandel ohne Plan

■ Die 135 Staaten einigen sich nicht mehr auf eine Tagesordnung für die WTO-Runde

Berlin (taz) – Die Vorbereitungen für das Treffen der Welthandelsorganisation (WTO), das nächsten Dienstag in Seattle beginnt, sind gescheitert. Die in Genf ansässigen WTO-Botschafter hatten seit über einem Jahr an einem Arbeitsprogramm für die nächste Freihandelsrunde gearbeitet. Nun müssen sich die 135 Wirtschafts- und Handelminister aus aller Welt vor Ort ad hoc auf eine Tagesordnung einigen. Während WTO-Chef Mike Moore die Parole „Seattle wird nicht scheitern“ ausgab, sagte der für Handelsfragen zuständige EU-Kommissar Pascal Lamy, er sei „überhaupt nicht sicher“, dass mit dem Treffen in Seattle eine neue Welthandelsrunde begonnen werde. Die Verhandlungen seien an einem toten Punkt angekommen.

Zu weit liegen die nationalen Interessen auseinander, die die großen Handelsnationen USA und Japan, den Handelsblock der Europäischen Union (EU), die in der Cairns-Gruppe zusammengeschlossenen Entwicklungsländer und diverse kleinere und größere Einzelkämpfer voneinander trennen. Hauptstreitpunkt ist nach wie vor die Landwirtschaft: Die USA und die meisten Länder der Cairns-Gruppe verlangen von der EU, ihre Agrarsubventionen abzubauen. Die Europäer haben aber angekündigt, ihre Zuschüsse nur so weit herunterzufahren, wie es bereits in der Agenda 2000 Anfang diesen Jahres in Berlin beschlossen wurde – was den anderen Agrarexporteuren zu wenig sein wird. Berichten des brasilianischen Fernsehsenders O Globo zu Folge bereitet sich Südamerika auf einen Handelskrieg gegen die EU vor. Es gäbe bereits eine lange Liste von Produkten, die boykottiert werden sollen, wenn die Europäer ihren Markt nicht endlich öffnen.

Viele Entwicklungsländer fordern zudem die Nachbesserung von Abkommen aus der letzten WTO-Runde, bei denen sie sich benachteiligt fühlen. So wollen sie längere Übergangsfristen bei der Einführung bestimmter Vorschriften und beim Abbau ihrer Schutzzölle. Die Industriestaaten lehnen es aber ab, über alte Abkommen neu zu verhandeln und hätten stattdessen gerne Themen auf der Tagesordnung gesehen, die wiederum für manche andere Länder nicht akzeptabel sind. So hat Deutschland etwa Brasilien und Indien mit der Ankündigung verärgert, über Kinderarbeit diskutieren zu wollen.

US-Präsident Bill Clinton hat inzwischen seinen Versuch aufgegeben, neben den für Handel zuständigen Ministern auch einige Staats- und Regierungschefs nach Seattle an einen Tisch zu holen. Clinton hatte gehofft, damit ein günstigeres Klima für Kompromisse zu schaffen. kk