Wie kommt Tatjana in den Puff?

Freier sollen eine Hotline anrufen, wenn sie mit einer Hure ins Bett gehen, die zur Prostitution in Deutschland gezwungen wurde. Eine Kampagne zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen    ■ Von Nicole Maschler

Berlin (taz) – Die Zukunft in Deutschland hatte sich Tatjana anders vorgestellt. Nach der Schule hatte die zwanzigjährige Russin keine Arbeit gefunden. Im reichen Westen, so versprach ihr ein Bekannter, könne sie eine Aupair-Stelle antreten. Hinter der Grenze war der Freund plötzlich nicht mehr so freundlich und zwang sie, auf den Strich zu gehen. Eine Irrfahrt durch Deutschland begann, ohne dass Tatjana wusste, an welchem Ort sie sich gerade befand.

Das Geschäft mit Frauen und Mädchen blüht – besonders in Deutschland. Im Jahr 1997 zählte das Bundeskriminalamt 1.200 Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Die Internationale Organisation für Migration mit Sitz in Brüssel schätzt, dass jährlich etwa eine halbe Million Frauen gezwungen werden, sich zu prostituieren.

Rechtzeitig zum Internationalen Tag „Nein zur Gewalt an Frauen“ stellt der Verein Terre des femmes heute in Stuttgart eine „Männerkampagne“ vor. Mit dem Modellprojekt, das am Montag in Baden-Württemberg angelaufen ist, will die Organisation neue Wege im Kampf gegen Zwangsprostitution gehen: Nicht die Opfer stehen im Mittelpunkt der Info-Aktion, sondern die Männer und ihre Rolle beim Geschäft mit dem Sex.

In allen größeren Städten kleben in den kommenden Wochen Plakate mit dem Hinweis auf eine Hotline an Wänden und Litfaßsäulen. Unter der Telefonnummer, die seit Montag geschaltet ist, können sich Männer rund ums Thema Frauenhandel informieren. Vor allem aber können Freier anonym anrufen, wenn sie einen Verdacht auf Zwangsprostitution haben. Die Polizei will solchen Hinweisen nachgehen. Doch bei anderen Frauenorganisationen stößt die Telefonaktion auf Skepsis. „Das Ganze macht ja nur dann Sinn, wenn die Frauen eine Perspektive bekommen und nicht abgeschoben werden“, sagt Eva Doffiné vom Verein „Solidarität mit Frauen in Not“. Die Organisation betreut Frauen, die als Zeuginnen gegen Zuhälter und Frauenhändler aussagen.

Tatjana fiel bei einer Polizeirazzia wegen falscher Papiere auf. Damit war sie zwar raus aus der Szene, doch am Ende stand die Abschiebung nach Russland.

Fast 90 Prozent der Zwangsprostituierten kommen aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Polen, der früheren CSFR und zunehmend auch aus Ungarn und Bulgarien. Ohne Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis sind sie den Zuhältern hilflos ausgeliefert. Werden sie bei Razzien aufgegriffen, schieben die Behörden sie rasch ab. Die Händler dagegen kommen meist glimpflich davon, weil die Zeuginnen vor Gericht nicht mehr aussagen können.

Der Tübinger Verein Terre des femmes, der seit achtzehn Jahren gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen kämpft, hat die Telefonaktion gemeinsam mit Männerberatungsstellen, Wissenschaftlern und Werbeprofis konzipiert. „Beim Thema Gewalt gegen Frauen müssen wir die Männer ins Boot nehmen“, beschreibt Terre-des-Femmes-Mitarbeiterin Sabine Riescher die Idee. Fraglich ist, ob das Programm den Frauen wirklich hilft.

„Das Wichtigste ist, das Thema öffentlich zu machen“, glaubt Riescher. Mit der Kampagne will Terre des Femmes die „scheinbare Solidarität unter den Männern“ aufbrechen und zumindest einige von ihnen für die Probleme der Frauen sensibilisieren. Ihre Forderung an das männliche Geschlecht: „Tragt Verantwortung“.

Die Initiatorinnen sind zuversichtlich, damit auf offene Ohren zu stoßen. Tatsächlich gingen bereits seit Montag mehrere Anrufe ein – auch von Freiern, die ihre Sicht der Dinge schilderten.

Doch bisher ist nicht nur die Frage ungeklärt, was mit den aufgegriffenen Frauen geschehen soll. Der Erfolg des Projekts hängt auch entscheidend davon ab, dass die Aktion die notwendige Aufmerksamkeit erhält.

Gerade hier hapert es – wie so oft – am Geld. 120.000 Mark kostet die Kampagne in Baden-Württemberg. Zwei Drittel des Geldes stammen von Sponsoren und Spendern, weitere 40.000 Mark hat das Sozialministerium in Stuttgart zugeschossen. Im kommenden Frühjahr soll die Aktion auf andere Bundesländer ausgedehnt werden – vorausgesetzt, es kommt genügend Geld zusammen.