Die Erklärung kommt vor dem Fall

Marian Jurczyk, Solidarnosc-Mann, Senator und Stettins Bürgermeister, war Stasi-Spitzel. Er verschwieg seine Dienste, weil sie erzwungen waren  ■   Aus Warschau Gabriele Lesser

Marian Jurczyk, einer der legendären Arbeiterführer der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc und zweiter Mann hinter Lech Walesa, ist als Stasi-Mitarbeiter enttarnt worden. Dies hat am Dienstag das sogenannte Durchleuchtungsgericht in Warschau bekannt gegeben.

Jurczyk, der Mitglied des polnischen Senats ist, musste in dieser Funktion eine sogenannte „Lustrations-“ oder „Durchleuchtungs-Erklärung“ abgeben. Darin hat er seine Stasi-Mitarbeit verschwiegen. Da er zur Zusammenarbeit gezwungen worden sei, erklärte Jurczyk kurz nach der Verkündung des Urteils, halte er seine Erklärung nach wie vor für richtig und werde sie auch nicht ändern.

Für das Gericht gilt als erwiesen, dass Jurczyk gelogen hat. Ihm drohen nun zehn Jahre Sperre für alle höheren Staatsämter. Laut Gesetz könnte er allerdings Oberbürgermeister der Stadt Stettin (Szczecin) bleiben. Dies erscheint jedoch wenig wahrscheinlich, da selbst die engsten Mitarbeiter und Freunde Jurczyks von dem Urteil überrascht wurden.

Lech Walesa, der siegreiche Gegenspieler Jurczyks in der Gewerkschaft Solidardosc, erklärte in einem ersten Kommentar, dass es im Polen der 70er-Jahre „keine Helden gegeben“ habe. „Damals hat jeder etwas unterschrieben, nur – nicht jeder hatte den Mut, sich dazu zu bekennen. Ich habe mich dazu bekannt.“

Das Gericht gesteht zu, dass Jurczyk tatsächlich zur Zusammenarbeit gezwungen worden sei. Sie endete laut Aktenlage im Jahre 1979. Jurczyk galt als einer der schärfsten Gegner der kommunistischen Partei in Polen. Am 13. Dezember 1981, als General Wojciech Jaruzelski den Ausnahmezustand über das Land verhängte, wurde er verhaftet. Ein Jahr später verübten sein Sohn und seine Schwiegertochter Selbstmord. Beide sprangen aus dem Fenster eines Hochhauses. Jurczyk hält den Geheimdienst für den Drahtzieher.

Erst 1984 kam Jurczyk aufgrund einer Amnestie für politische Häftlinge wieder frei. Er konnte jedoch nie wieder Einfluss in der Gewerkschaft Solidarnosc erringen, gründete eine eigene Gewerkschaft, geriet aber immer mehr an den Rand des politischen Spektrums. Erst 1997 begann er eine neue politische Karriere.

In Stettin startete er mit dem Slogan „Nur er hat sich nicht verkauft“ zu den Senatswahlen, ein Jahr später mit der Parole „Stettin den Polen“ zu den Stadtratswahlen. Heute ist Jurczyk nicht nur Senator, sondern auch Oberbürgermeister Stettins – mit Unterstützung der Exkommunisten. Sein Programm in Stettin: „Kein Zentimeter Land für Ausländer.“ Jurczyk, so das Gericht, hätte seine Zusammenarbeit mit der Stasi in seinem Überprüfungsbogen angeben müssen und die Umstände erklären können. Hätte er dies getan, würde ihm heute nicht der Verlust des Senatorensessels drohen.

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