Chappi und Schicksal

■ Fragment eines Hundelebens: In John Bergers neuem Roman „King“ erzählt ein Vierbeiner die Geschichte zweier Obdachloser

Manches lässt sich nur aus der Entfernung ertragen. John Berger, Kunstkritiker, Essayist und Beobachter par excellence, weiß längst um diesen Zusammenhang.

Die Geschichten, die der Romancier in den letzten Jahren zu erzählen wusste, handeln fast ausschließlich von Menschen in Extremsituationen. Gänzlich unprätentiös beschreibt er Schicksale, die eigentlich niedergeschlagen und frustriert stimmen müssten. Doch Berger hält sich und der LeserIn den Rückzug offen. Der unerträglichen, unmittelbaren Nähe setzt er eine poetische Distanz entgegen, die auch noch dem dramatischsten Ereignis etwas Prosaisches abgewinnt.

King, der neue Roman des mittlerweile über 70-jährigen, führt damit eine Betrachtungs- und Erzählweise fort, die bereits in Auf dem Weg zur Hochzeit ihren Anfang nahmen. Alltägliche Szenen überprüft der Autor durch akribische Observation auf ihre poetische Tauglichkeit.

Wenn Berger also lakonisch, und weit von kitschigen Kindheitsträumen entfernt, einem Hund die Sprache verleiht, um ihn für diejenigen sprechen zu lassen, deren Stimmen in der Konsumgesellschaft längst verhallt sind, erhält der Moment der Distanz eine weitere Dimension. King, der Hund stellt sich zwischen uns und das obdachlose Paar, dessen Geschichte er erzählt. Weder legt er Wert auf den chronologischen Verlauf, noch auf die Gründe, die in die Obdachlosigkeit führten. Zeile für Zeile offenbaren sich einzelne Episoden aus dem früheren Leben des Paares, die sich mit den aktuellen Ereignissen zu einem bruchstückhaften Bild ihrer Existenz zusammensetzen.

Die melancholische Sprache des Vierbeiners schafft hier die nötige Entfernung zur schmerzhaften Erfahrung des Schicksals, ohne dabei aufgesetzt oder gar altklug zu erscheinen. Bergers Lakonie und Bescheidenheit berühren sanft, lassen die Tragweite des Erzählten, ertragbar werden.

Tanja Stünckel

heute, Lesung, TiK – Thalia in der Kunsthalle, 21.30 Uhr

John Berger, King, Roman, München/Wien 1999, Hanser, 184 Seiten. 29,80 Mark