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: Die Russendisco

■ Von Wladimir Kaminer

Ein Tanzabend mit russischen Hits unter dem Titel „Wildes Tanzen in den Jahrestag der Großen Oktoberrevolution“ fand am 6. November erstmals in der Tacheles-Kneipe Zapata statt. Dank der Werbung von Radio MultiKulti stieß die „Russendisco“ auf allgemeine Begeisterung beim zahlreich erschienenen Publikum.

Das Zapata war knackevoll. Laut Berechnungen der Frau des Initiators, die an der Kasse stand, kamen insgesamt 300 zahlende Besucher. Der Eintrittspreis betrug 7 Mark und wurde auch von der Frau des Initiators mit aller Härte von jedem Besucher verlangt. Leider zeigten sich allzu viele Russen auf diesem Gebiet unkooperativ, sie wollten umsonst wild tanzen, doch konnten viele nicht gut genug argumentieren. So wurde dann Eintritt zwischen 4 und 7 Mark verlangt – je nach Aussehen und Hartnäckigkeit.

Das Publikum war jung und international. Dazu gehörte unter anderem ein spanisches Fernsehteam, das sich wahrscheinlich in der Oranienburger Straße verlaufen hatte und überraschenderweise dann im Tacheles auftauchte. Auch eine Gruppe ehemaliger japanischer Touristen, die seit über einem halben Jahr im Tacheles als verschollen galt, tauchte plötzlich wieder auf. Die Lokalredakteurin der Berliner Zeitung fand all das sehr aufregend und behauptete, dass nur die Russen so toll feiern können. Dennoch fühlte sie sich schon bald wie vergiftet und verlangte nach Heilgetränken – wie etwa Kamillen- oder Pfefferminztee –, die jedoch im Café Zapata nicht ausgeschenkt werden.

Trotz der großen Anzahl zahlender Gäste war der Geschäftsführer des Zapata von den Russen im Großen und Ganzen enttäuscht, weil sie nicht so viel tranken, wie er es sich erhofft hatte. Der Umsatz an der Bar ließ zu wünschen übrig, und die fünf Kisten von dem merkwürdigen Getränk „Puschkin-Leicht“, das er seit über einem Jahr auf Lager hatte und nun endlich los werden wollte, verkauften sich nicht gut. Da dennoch die Mehrzahl der Gäste ziemlich schnell besoffen war, vermutete der Geschäftsführer, dass viele Russen nach alter Tradition ihre Getränke selbst mitgebracht hatten, und damit hatte er wohl gar nicht so Unrecht.

Die Veranstalter versuchten zwischendurch immer wieder den Sinn und die Bedeutung der Oktoberrevolution den tanzenden Massen zu vermitteln und dazu die Werte des Internationalismus sowie der Völkerverständigung durchzusetzen, zum Beispiel in den Ansagen zum so genannten Weißen Tanz, bei dem die Damen die Kavaliere auffordern. Dabei stießen viele alleinstehende Russinnen auf ihr Schicksal, indem sie beispielsweise neue Freunde und Partner fanden bzw. interessante Menschen kennenlernten.

So gelang es der Redakteurin der russischen Redaktion von MultiKulti nach vier Stunden wilden Tanzens, einen Mann (kräftig gebaut, circa 1,90 groß, Halbglatze) anzubaggern, der sich als Pro7-Manager vorstellte. Beim nach Hause Abschleppen löste sich der Mann jedoch in Luft auf. Die Redakteurin verunglimpfte daraufhin den Sender, weil dies schon der dritte Pro7-Manager war, den sie innerhalb eines Jahres kennen gelernt hatte und der dann plötzlich verschwunden war. Eine andere Frau hatte einen jungen Filmemacher aus Potsdam kennen gelernt – er ruft immer noch jeden Tag bei ihr an.

Selbst nach sechs Stunden wilden Tanzens wollte noch keiner gehen, aber das Diskjockey-Team war völlig erschöpft und stellte um halb fünf die Musik ab. Auf Grund des Erfolgs wollen die Veranstalter aber demnächst einen weiteren Disco-Abend organisieren: „RUSSENDISCO – Wildes Tanzen in die Heilige Nacht“ am 24. Dezember. Dazu lädt Sie alle herzlich ein: Ihr Initiator Wladimir Kaminer