Zwischen den Rillen
: Petri Heil – Sieg Heil

■ Wassermenschen versus Porno-Nazis: Electro von Drexiya und Dopplereffekt

Dopplereffekt und Drexiya haben eine Menge gemeinsam. Beide kommen aus Detroit, beide gibt es schon seit Anfang der Neunziger, beide gelten als die Hauptprotagonisten der Electro-Renaissance, weil sie damals zu den Ersten gehörten, die die alten Synthesizer aus der Breakdance-Ära herauskramten, und beide machen ein großes Geheimnis darum, wer eigentlich hinter dem Ganzen steckt. Mal wird gemunkelt, dass das Underground Resistance-Mastermind Mike Banks seine Finger an den Reglern habe und Dopplereffekt und Drexiya also Projekte ein und derselben Person seien. Doch wo die meisten Produzenten elektronischer Musik mit verschiedenen Pseudonymen nur spielen und so verschiedene Produktreihen laufen lassen, macht der Kopf beziehungsweise machen möglicherweise die Köpfe hinter Drexiya und Dopplereffekt Ernst: Sie bleiben unbekannt.

Nun ist ja das Sichverstecken zu einem Teil der Inszenierung zu machen, nicht die neueste Idee – eine Rockband wie die Residents tut das auch. Aber im Unterschied zu jenen, die sich eben nur als die Band darstellen können, bei der niemand weiß, wer dahinter steckt, kommen bei Dopplereffekt und Drexiya all die Techniken posthumaner Subjektkonstruktionen hinzu. Hier wird sich nicht nur versteckt, es werden über die Covergestaltung, das Einritzen von Messages in das Vinyl und durch die Titelgebung neue Künstlersubjekte entworfen. Subjekte, die nicht einfach einen anderen Namen haben und ansonsten aber durchaus Hand und Fuß, sondern Subjekte, die einmal blubbern und das andere Mal strammstehen. Drexiya blubbern. Sie legen eine alte Phantasmagorie der afroamerikanischen Diaspora neu auf, die auch schon für eine Miles-Davis-Platte titelgebend war: Die Waterbabies. Das sind die imaginären Kinder der realen schwangeren Sklavinnen, die im 18. und 19. Jahrhundert von Sklavenschiffen über Bord in den Atlantik geworfen wurden: halb als Mensch, halb als Wasserwesen geboren. Ausgestattet mit Kiemen und Schwimmhäuten schwimmen sie durch das Booklet und sind auf Mission, die weltbeherrschenden Computerprogrammierer anzugreifen und in ihre Schranken zu verweisen. Für diesen Kampf brauchen Drexiya die Wissenschaft. „Experiments must continue at all costs, even if it means death“, heißt es im Booklet, und „Neptune's Lair“ – die titelgebende Höhle des Neptun – darf man sich als Scientific Research Development Lab vorstellen, was immer das sein mag.

Mit ihrem irgendwo zwischen Science und Fiction mäanderndem Konzept von radikaler Politik wurden Drexiya inzwischen schon vom Technotheoretiker Kodwo Eshun zum Paradebeispiel seiner Theorie der Sonicfiction erhoben und erhielten somit die höheren popphilosophischen Weihen als Kolonisatoren des Black Atlantic. Und wenn man genau hinhört, kann man Teile des konzeptuellen Drumherums sogar in den Stücken wiederfinden. Die Musik hat durch die Soundflächen manchmal so etwas wie einen Trance-Appeal – der allerdings als Assoziation eher das schmutzige Brackwasser des Michigan-Sees aufruft als die Fischschwärme an Korallenriffen. Mal blubbert der Synthesizer einfach, und eine Unterwasserorgel lässt ein paar Töne aufsteigen.

Wollte man nun die verschiedenen Konzepte von Drexiya und Dopplereffekt auf eine Formel bringen, könnte man sagen, wo immer Drexiya für das Undefinierbare, die Gegenmacht und das Nomadische stehen, geht es bei Dopplereffekt um Macht und Hierarchien. Handelt Drexiya von Petri Heil, setzt Dopplereffekt auf Sieg Heil. Sie stehen auf Pornografie, Wissenschaft und Nazi-Deutschland, auf alles was Kontrolle, Entfremdung und Uniformen signalisiert, alles was böse ist. Labore, Raketen und Schreibtische, an denen Entscheidungen getroffen werden. Das volle Programm, die ganze finstere Entfremdung-und-perverser-Spaß-Nummer. So hört sich das an, wenn durchgedrehte Computermusik-Amerikaner sich vorzustellen versuchen, wie sich Musik anhören würde, wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte. Das ist die Musik, die Kraftwerk gemacht hätten, wenn sie Amerikaner gewesen wären. Das Cover ist schwarz, und wahrscheinlich ist nur deshalb kein Hakenkreuz drauf, weil die Platte sonst indiziert würde. So zieren es Hammer und Sichel und die sehen auch ganz schön totalitär aus.

Die Texte handeln davon, Wissenschaftler zu sein und im Labor Experimente durchzuführen oder vom Sex mit Pornodarstellern, davon, dass die Bevölkerung sterilisiert werden muss.Selten ist das mehr als ein Satz, der robotergleich monoton wiederholt wird. Dopplereffekt nähern sich mimetisch dem Körpergefühl faschistischer Schreibtischtäter an – der wildgewordenen Menschmaschine –, und da passt es ins Bild, dass sie sich mitunter den Namen Eichmann als Komponisten ins Stammbuch schreiben.

Dies ist die schwarze Seite des Fortschritts, dies sind seine dunkelsten Träume. Das ist staubtrockener Electro, der nicht nur an den alten Geräten produziert ist, sondern sich auch anhört, als sei er vom Anfang der Achtziger, nur vollkommen überzeichnet.

Tobias Rapp

Drexiya: „Neptune's Lair“. Tresor Records (EFA) Dopplereffekt: „Gesamtkunstwerk“. International DeeJay Gigolo Records (EFA)