Ficken fürs Vaterland

Gezielt suchten Ostagenten Kontakt zu Westsekretärinnen. Zwei Sachbücher erkunden das infame Spiel, das die Spionageorgane der DDR mit der Libido trieben  ■   Von Udo Scheer

Begonnen hatte alles recht harmlos. Gabriele K., Übersetzerin in der US-Botschaft in Bonn, hatte eine Heiratsannonce in der Herald Tribune geschaltet. Wie zufällig wird sie von einem Mann angesprochen. Sie treffen sich, doch er ist nicht ihr Typ. Unvermittelt erscheint statt seiner „Frank Dietzel“, um den „Kollegen“ zu entschuldigen. „Er sah hinreißend aus, war sehr intelligent und hatte eine starke sexuelle Ausstrahlung“, wird sie später zu Protokoll geben.

Für Dietzel alias Rudolf H., in Rostock frisch verheiratet und Laborleiter in einem Chemiebetrieb, ist dies sein erstes großes Stasi-Abenteuer. Vorbereitet durch Sprachkurse in England und Studienaufenthalte im Operationsgebiet Bundesrepublik, erhält er den Auftrag, Gabriele K. auf „Grundlage einer persönlichen Bindung“ für die Spionage zu gewinnen. Ihre Aversion gegen die Russen und die DDR umgeht er gemäß Stasi-Szenario unter „falscher Flagge“. Dietzel offenbart sich als Mitarbeiter eines internationalen Friedensforschungsinstitutes in Wien. Um den geliebten Mann, von dem sie weder Adresse noch Telefonnummer kennt, nicht zu verlieren, fotografiert sie zur „Stärkung des Weltfriedens“ bis 1989 brisante Dokumente, darunter Rüstungs- und Manöverpläne der Nato.

1996 wird Gabriele K. zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Ein psychiatrisches Gutachten bescheinigt ihr eine hochgradige Neurose und die Unausweichlichkeit des Missbrauchs durch den Geheimdienst.

Für ihren Dokumentarfilm „Unternehmen Romeo“ (ARD 1998) ging die Fernsehjournalistin Elisabeth Pfister dem Schicksal dreier durch Stasi-Romeos zur Spionage verführter Frauen nach: Gabriele K., Karin S., Sekretärin im Bundeskanzleramt, und Gerda O. in der Deutschen Botschaft in Warschau. Überwiegend aus dem Blickwinkel der subjektiven Kamera nähert sich die Autorin nun in ihrem gleichnamigen Buch noch einmal den drei Täter-Opfern. Konzentriert auf zerstörte Lebensträume, mit Fluchten in Alkohol und Suizidversuchen, gerät die Schwere ihres Geheimnisverrats jedoch in den Hintergrund.

Zeitgleich legt die Journalistin Marianne Quoirin ihr Buch „Agentinnen aus Liebe“ vor. Das reizt zum Vergleich. Als Gerichtsreporterin saß die Autorin in zahlreichen Aufsehen erregenden Spionageprozessen. Sie recherchierte Zeugenaussagen, sprach mit den verurteilten Frauen, mit Richter und Staatsanwalt und mit dem Ex-Stasi-Psychologen, der die Sekretärinnen-Spioninnen einst psychisch stabilisierte (und heute Geschäftsleute und Manager in aggressiven Verkaufs- und Leitungsmethoden trainiert). In ihrem faktenreichen Buch trägt sie die Lebensgeschichten von 15 Spioninnen aus Liebe zusammen. Unter ihnen auch die im „Unternehmen Romeo“ genannten Frauenschicksale. In ihrer geheimdienstlichen Naivität und Beeinflussbarkeit heben sie sich deutlich ab von überzeugten Stasi-Agentinnen wie Christine Rupp, die ihr Mann Rainer („Topas“) zur Meisterspionin bei der Nato machte, oder der Überzeugungstäterin Gabriele Gast, für die Markus Wolf in seiner Stasi-Datscha Russisch kochte.

Innerhalb der Hauptverwaltung Aufklärung des stellvertretenden Stasi-Ministers Markus Wolf hatte man früh erkannt, wie effizient verliebte Sekretärinnen als Schlüssel zu den Tresoren in Wirtschaft, Politik, Militär und Geheimdiensten sein konnten. Sie kamen an Geheimdokumente, kannten die Schwächen ihrer Chefs. Ihre Hinweise waren gefragt, um auch die Vorgesetzten im Stasi- oder KGB-Netz zu fangen.

Beide Bücher dokumentieren die weltweit einmalige Perfektion, mit der Frauen im Westen durch Stasi-Gigolos angeworben, im Spionagehandwerk ausgebildet und skrupellos ausgenutzt wurden. Und sie widerlegen die kreidige Lüge des Ex-Chefs der DDR-Auslandsspionage, Markus Wolf, sein Dienst habe nie gezielt „Romeo-Spione auf unschuldige weibliche Wesen in der Bundesrepublik angesetzt“.

Trotz umfassender Vernichtung der DDR-Spionageakten ist mindestens ein Dokument erhalten geblieben, das Einblicke in den abgründigen und planmäßigen Stasi-Missbrauch der weiblichen „Zielpersonen“ zulässt. Wolf persönlich veranlasste und betreute diese Dissertation über das „systematische Eindringen in bedeutende Führungsstellen“ – auch durch den Einsatz von Romeo-IMs. Eine „Schwerpunktaufgabe“. Bei den Schulungen im „Bullenkloster“ bei Belzig wurde „Ficken fürs Vaterland“ zu einem geflügelten Wort für jene Einsätze, die nach dem Statut des MfS zugleich als Wehrersatzdienst anerkannt wurden. General Markus Wolf ließ sich gelegentlich höchstselbst von seinen Romeos über ihre Erfolge berichten und heftete ihnen nach ihren bühnenreifen Leistungen die entsprechende Verdienstmedaille der NVA in Bronze an.

Vor allem Marianne Quoirins Buch belegt eindrucksvoll, dass in der Halbwelt der Spionage des Kalten Krieges keiner nur Täter oder nur Opfer war. An den Fäden des zynischen, menschenverachtenden DDR-Staatssicherheit konnte kein Agent wirklich gewinnen. Das Doppelleben in der Lüge, der Verrat und der Vertrauensbruch gegenüber Kollegen und nahe stehenden Menschen erzeugte einen psychischen Druck, der krank machte und in die Isolation führte.

Wie massiv die Einsätze der Romeo-IMs auch deren eigene Persönlichkeit beschädigten, lässt bei Marianne Quoirin die Aussage des Stasi-Psychologen Dr. L. ahnen: „Allgemein kann ich sagen, dass die zurückgekehrten Kundschafter ein großes Potenzial an kaputten Typen bildeten [...] welche dringend psychologischer Hilfe bedurften.“ Härter traf es die Frauen, auch wenn ihnen die Richter überwiegend milde Strafen zumaßen. Ihnen bleibt vielfach Bitterkeit über die verlorenen Jahre. Romantische Nächte mit ihren „Traummännern“ im Ambiente nobler Hotels, Geschenke, Abenteuerlust und teilweise beachtlicher Agentenlohn wiegen die Demütigung durch eiskalte Liebeslügen nicht auf. Wie meinte doch Markus Wolf eingangs seiner „Erinnerungen“: „Es gibt für mich eine Grenze, und zwar da, wo es um Verrat an Menschen geht, die mit mir gearbeitet haben.“

Elisabeth Pfister macht die patriarchalischen Nachkriegsverhältnisse in der Bundesrepublik mitverantwortlich für die unglaubliche Naivität, mit der sich die Frauen für ihren Traum von einer harmonischen Beziehung als „Quelle“ missbrauchen ließen. Eine etwas fragwürdige These, hatten die Stasi-Romeos doch gerade in der Emanzipationswelle der Sechziger- und Siebzigerjahre ihre größten Erfolge. Bemerkenswerter scheint Marianne Quoirins Beobachtung: Fast alle der fünfzehn von ihr aufgesuchten Romeo-Opfer hatten eine strenge Erziehung durch dominante Elternteile erfahren, durchlebten das Jugendalter ohne Freunde und fühlten sich unfähig, ihren eigenen Willen durchzusetzen. Leichte Beute für die Stasi-Strategen.

Nach einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes wurden zwischen 1949 und 1989 58 Fälle von Sekretärinnen-Spioninnen aufgedeckt. Wie viele der etwa 20.000 Bonner Sekretärinnen den Avancen östlicher Geheimdienste standhielten, wird wohl nie zu erfahren sein.

Elisabeth Pfister: „Unternehmen Romeo“. Aufbau-Verlag, Berlin 1999, 208 Seiten, 36 DM Marianne Quoirin: „Agentinnen aus Liebe“. Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 1999, 256 Seiten, 39,80 DM