In Kroatien nähert sich die Ära Tudjman dem Ende

■ Der Parlamentspräsident Vlatko Pavletic wird zum Interimsnachfolger des totkranken Präsidenten ernannt. Damit will Regierungspartei ihre Chancen bei den Wahlen verbessern

Zagreb (taz) – Kroatien wird von einem neuen Mann regiert: Vlatko Pavletic, 69 Jahre und Parlamentspräsident, kann nach der Entscheidung des Parlamentes, nach Feststellung der Amtsunfähigkeit des todkranken Präsidenten Franjo Tudjman, als dessen Interimsnachfolger in den Präsidentenpalast einziehen.

Die Gesetzesänderungen, die am Mittwoch durch den Sabor mit der Stimmenmehrheit der regierenden „Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“ (HDZ) und einiger verbündeter rechtsradikaler Kleinparteien durchgepeitscht wurden, sehen vor, dass die Amtszeit des Interimspräsidenten um jeweils 60 Tage verlängert werden kann, falls Tudjmans Zustand unverändert bliebe. Nach dem alten Gesetz hätte Tudjman nach Feststellung der Amtsunfähigkeit nach 60 Tagen abtreten müssen. Dann wäre es automatisch zu Neuwahlen für das Präsidentenamt gekommen. Jetzt wird diese Regelung erst nach dem Tod Tudjmans in Kraft gesetzt. Die Regierungspartei will so nach Meinung von Beobachtern ihre Ausgangspositionen für Neuwahlen verbessern.

In diesem Zusammenhang wird eine neue Variante ins Spiel gebracht. Der ehemalige Kommunist und Anfang der siebziger Jahre als liberal geltende Herausgeber der Literaturzeitschrift Krugovi, Vlatko Pavletic, gilt in seiner Partei als schwache Figur. Denn in den letzten Jahren hat sich der zum glühenden Nationalisten Konvertierte einige Fehler geleistet, er wird mit Korruptionsskandalen in Verbindung gebracht. Deshalb sähen viele den Vizepräsidenten des Parlaments, Vladimir Seks, gern als Interimspräsidenten.

Seks, Rechtsanwalt aus Slawonien, der vor dem Krieg für eine Gefängnisreform eingetreten war und während des Krieges dem Flügel der Hardliner angehörte, hat als Fraktionschef der HDZ im Sabor in den letzten Tagen an Macht gewonnen. Denn die Ironie der Entwicklung in Kroatien liegt darin, dass die von Tudjman beschnittene Macht des Parlamentes gestärkt wurde. Die von den Sozialdemokraten angeführte Opposition betonte in den letzten Tagen diesen Punkt. Kroatien, so die Opposition, entwickle sich zu einer parlamentarischen Demokratie.

Noch ist unklar, wann Neuwahlen für das Parlament stattfinden. Heute wird über einen Termin im Parlament diskutiert, im besten Falle könnte am 28. Dezember gewählt werden, der letzte Termin wäre der 27. Januar 2000.

Nach letzten Umfragen liegt die HDZ in den Städten bei 16 Prozent, auf dem Lande bei 25 Prozent, während die Opposition mit 50 bis 60 Prozent rechnen kann. Trotz des die HDZ begünstigenden Wahlrechtes müsste diese Stimmung ausreichen, um einen Machtwechsel zu ermöglichen.

Erich Rathfelder