Weniger Türken in Deutschland

Etwa die Hälfte der in der Bundesrepublik lebenden Türken will sich ab Januar einbürgern lassen. Die Altbundesbürger fürchten um ihre Besitzstände    ■ Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) – Was die Rechten seit Jahren fordern: Ab dem Jahr 2000 wird es Wirklichkeit. Die Türken in Deutschland werden weniger, die Deutschen werden mehr. Jede Menge neuer Deutscher wird es mit Inkrafttreten des neuen Staatsbürgerschaftsrechts am 1. Januar geben, so das Ergebnis einer neuen Studie des Essener Zentrums für Türkeistudien.

Rund 50 Prozent der 2,1 Millionen türkischen Staatsbürger haben bereits einen Einbürgerungsantrag gestellt oder werden ihn stellen. Die andere Hälfte, das sind vor allem die älteren Migranten, wollen auch in Zukunft keine deutschen Staatsbürger werden. Nur wenige von ihnen sind bereit, ihren türkischen Pass abzugeben. Aber genau das müssten sie, nachdem das neue Staatsbürgerschaftsrecht die doppelte Staatsbürgerschaft weitgehend ausschließt.

Bereits heute leben 318.000 Deutsche türkischer Herkunft in der Republik. 2003 werden es nach Hochrechnungen des Zentrums für Türkeistudien 720.000 bis 900.000 sein. „Das wird nicht ohne Auswirkungen auf die Programmatik der Parteien sein“, prophezeit Faruk Sen, Leiter des Zentrums. Denn die müssten künftig, ganz anders als in der Vergangenheit, um diese neuen Wähler werben.

Mit der Einbürgerung verändert sich auch das Investitionsverhalten der türkischen Migranten. Erwarben sie bislang insgesamt zwei Drittel ihrer Immobilien in der Türkei und nur ein Drittel in Deutschland, so wird sich dieses Verhältnis künftig umkehren.

Was als Zeichen gelungener Integration gewertet werden kann, sorgt auch für neuen politischen Zündstoff. Bei den letzten Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen war der Protest altdeutscher Bürger gegen den Immobilienerwerb durch Türken in ihren Stadtvierteln heiß umstrittenes Thema. Welches Ausmaß dieser Protest annehmen kann, zeigt das Beispiel Vitrolles in Südfrankreich. Dort wurde die Front National bei den letzten Wahlen stärkste Fraktion im Rathaus, nachdem immer mehr Franzosen maghrebinischer Herkunft die Banlieus Marseilles verließen und sich Häuschen im beschaulichen und grünen Vitrolles kauften.

Auch das Zentrum für Türkeistudien steht mit der beschleunigten Einbürgerung vor neuen Problemen. Die dort erstellten Untersuchungen zum Konsumverhalten der Türken, ihrem Beitrag zum Bruttosozialprodukt in Deutschland und zur überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit unter den Türken werden immer weniger aussagekräftig, wenn sich vor allem der flexible, gebildetere und wohlhabendere Teil der türkischen Gemeinde einbürgern lässt.