Rubbeln am Kreuz

■  Jesus eine nackte Frau? Katholische Kirche entsetzt über die Fotoausstellung von Bettina Rheims, 47, im Kronprinzenpalais

Und wann und wo trifft man endlich auf den Erlöser? Oder anders gesagt, auf „Jesus Christ Superstar“? Man wird, das soll gleich gesagt werden, vergeblich auf diesen Moment warten. Denn das ist die Crux – und keinesfalls das Kreuz – mit Bettina Rheims' opulenter Fotoaustellung „I.N.R.I.“, die heute im Ausweichquartier des Deutschen Historischen Museums, im Kronprinzenpalais, eröffnet: Die von ihr so überbordend reinszenierte Geschichte von Jesus von Nazareth, König der Juden, die nicht ohne Grund eine Heilsgeschichte heißt, weil sie eben auch die Geschichte Christi, des Erlösers, ist, zieht sich in all ihren Kapiteln so frisch, fromm, fröhlich, frei die Ausstellungswände entlang, dass es völlig unklar bleibt, welche Aufgabe jenem hübschen Burschen, der da Jesus darstellt, in dem prachtvollen Bilderfries tatsächlich zukommt.

Es ist ja schon okay und dazu nicht sonderlich neu, dass sexy Jesus ein Rockstar ist und seine Jungs, auch bekannt als die zwölf Apostel, die Boygroup bilden. Doch irgendwann würde man in Rheims' süßem Schmerzensmann dann doch ganz gerne den Star erkennen, den Typen, der der Weltgeschichte einen ganz neuen Drive gab. Den Mann, der dem so genannten christlichen Abendland nun immerhin Anlass bietet, auf eine gigantische Jahr-2000-Feier zuzusteuern.

Bettina Rheims' „I.N.R.I.“ ist selbst eines der vielen üppig gesponserten Millenniumsprojekte dieses Jahres. Das erfährt man im endlosen Abspann des Ausstellungskataloges, wo die Fotografin nicht nur dem Präsidenten, sondern auch noch dem Generalsekretär der „Mission pour la célébration de l'an 2000“ dankt. Das Jahr 2000 liefert denn auch dem Deutschen Historischen Museum den Grund für die Ausstellung, so sagte es sein schon verabschiedeter Direktor Christoph Stölzl bei seiner letzten Amtshandlung. Man wollte zum Jahreswechsel, der ein Jahrhundert- und ein Jahrtausendwechsel ist, nicht nach vorne schauen, sondern zurück, dahin, wo alles anfing – ganz wie es sich für ein Institut geziemt, das der Geschichte verpflichtet ist.

Auch Bettina Rheims, 47, die als Fotografin für Frankreich das ist, was Annie Leibovitz für die Vereinigten Staaten bedeutet, auch Bettina Rheims also, die Frau, die der französischen Generation der natural born Medienarbeiter, Schauspielern, Sängern und zuletzt auch Politikern ihr Bild gab, fühlt sich der Geschichte verpflichtet. Freilich der Geschichte in ihrem Hier und Jetzt.

Mindestens zehnmal fiel während der Pressekonferenz der Satz, dass das Leben Jesu in ihren Bildern seinen ganz und gar zeitgenössischen Ausdruck finden sollte. Und daher treiben sich die Apostel nun in Kfz-Werkstätten und auf Bahndämmen herum, während die hochschwangere Maria nackt in der Hütte in Bethlehem kniet, die mit Zeitungen austapeziert ist. Wenn Maria Magdalena Jesus die Füße wäscht, geschieht das im gekachelten Badezimmer, derweil sie mutmaßlich Jean-Paul Gaultier trägt. Auch ihm wird im Anhang gedankt, wie Helmut Lang, Martine Sitbon, Ann Demeulemeester oder Manolo Blahnik. Entsprechend glatt gestylt, perfekt ausgeleuchtet, von den Make-up-artists super hingeschminkt und bunt gedresst bewegt sich das Personal in Bettina Rheims' Evangeliar. Rund 150 Models treiben sich im Studio und auf den Außensets herum, was stets zu Bildern führt, die derart hübsch eingerahmt wirken, als seien sie in einer Guckkastenbühne entstanden. Das soll ein bisschen an das Genre der lebenden Bilder erinnern, so wie die weißen Lilien die Präraffaeliten zitieren und der zu Grabe gelegte Christus Mantegna und die Renaissance.

Im Ganzen gesehen ergibt das zwar eine nette, postmoderne Popgeschichte, freilich doch eine recht flaue, denn Rheims' Popgeschichte dringt nie, wie es eigentlich in ihr angelegt ist, bis zur Passionsgeschichte vor. Da helfen auch die dunklen Stellwände im zweiten Obergeschoß nicht weiter, die die hellen Stellwände der ersten Etage ablösen und zum Ende, zum Tod und zur Auferstehung Jesu Christi führen sollen. In dieser zweiten, dunklen Etage versagen die Fotografin und ihr Koautor Serge Bramly endgültig, denn für den Verrat, die Marter, das Blut und den körperlichen Schmerz haben sie wunderlicherweise überhaupt keine Bilder. Wahrscheinlich, weil Rheims aus der Mode und nicht aus dem Pop stammt. Sonst müsste sie es besser wissen – und würde auf Golgatha einem süßen Jesus nicht einfach eine ebenso süße Gekreuzigte beigesellen.

Brigitte Werneburg
‚/B‘ „I.N.R.I.“, Fotografien von Bettina Rheims und Serge Bramly, Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3, bis 29. Februar 2000, Katalog 128 DM