Radunski weg, Kultur kaputt

Der Metropol-Mörder hinterlässt seinem Nachfolger einen Scherbenhaufen. Jetzt muss endlich Schluss sein: Vier Jahre Eventmarketing und albernes Personalgerangel sind genug. Die erste Aufgabe des neuen Kultursenators: Mehr Inhalt!  ■   Von Katrin Bettina Müller

Dafür ist Geld da: Eine Reise nach New York gehörte zu den letzten Amtstaten von Peter Radunski

Die Stadt ist reich. Sie scheint es bloß oft nicht zu wissen. Über 700 Millionen Mark umfasst der Kulturetat, 20 Millionen und mehr steckt die Stiftung Lotto in die Berliner Kultur, dazu kommen die von Bund und Länder mitfinanzierten Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Da müsste mehr zu machen sein, als nur Verteilungskämpfe auszutragen.

Noch verhandeln die Koalitonäre von CDU und SPD über den Zuschnitt der Ressorts. Die Überlegung, Kultur und Wissenschaft mit der Wirtschaft zu verkuppeln, entspricht dabei der Linie, Kultur als Tourismusfaktor zu funktionalisieren. Dass aber auch der intellektuelle Leerlauf des Kulturbetriebs schmerzhaft gespürt wird, signalisiert der Vorschlag, Wolf Lepenies, Leiter des Wissenschaftskollegs, zum Senator zu machen: ein Soziologe, der den Intellektuellen mehr politische Arbeit und der Wirtschaft mehr Skepsis gegen den Fortschrittsglauben abverlangt.

Die Kultur jedenfalls könnte eine größere Sensibilität gegenüber der beschleunigten Geschichte der Stadt vertragen. Letztes Beispiel für den ambivalenten Umgang mit dem öffentlichen Raum ist der aktuelle Krach um den neu bebauten Pariser Platz, an dem die Sicherheitsinteressen der US-Botschaft mit den Erfordernissen der Akademie der Künste nach einem freien Zugang zusammenrasseln. Wo Repräsentation auf Kosten von Vielfalt geht, stimmt etwas nicht im Programm.

Kultur vor allem da zu fördern, wo sie als Werbefaktor vermarktet werden kann, hat in Berlin alte Strukturen zerstört. Die Filmfestspiele vom Ku'damm an den Potsdamer Platz ziehen zu lassen, stärkt nicht gerade den Rücken der Kinobetreiber jenseits der Multiplexe. Während der Kulturstaatsminister Michael Naumann für die deutsche Filmindustrie in den USA wirbt, sieht man in Berlin der Verdrängung einer Kinoszene zu, die sich für deutsche und europäische Produktionen eingesetzt hat. Dabei lag mit dem vielfältigen Filmangebot von Themenreihen, historischen Ausgrabungen und der Entdeckung neuer Filmkontinente ein mit keiner anderen Stadt vergleichbares Potenzial von Berlin. Multiplexe gibt es überall.

Eine Reise nach New York, um mit den Kunstwerken und einem Tross von Kulturagenten Kreativität aus der brodelnden Berliner Mitte vorzustellen, gehörte zu den letzten Amtstaten von Peter Radunski. Doch die Attraktivität, mit der die Stadt im Wandel viele Künstler angezogen hat, darf nicht vergessen lassen, dass reduzierte Kunstankäufe, Kürzung von Stipendien und die Konkurrenz auf dem Markt der Nebenjobs die Produktionsbedingungen oft verschlechtert haben. Viele bildende Künstler fürchten den Rausschmiss aus der Künstlersozialkasse, weil sie nicht das jährliche Mindesteinkommen von 6.000 Mark aufbringen. Mit den Musikern aus den renommierten Orchestern Berlins muss der Senat als Arbeitgeber derweil um Medienzulagen, Tarife und Kategorisierungen ringen, die in der internationalen Konkurrenz zugleich als Gütesiegel gewertet werden.

Von diesem sozialen Gefälle unter den Kulturarbeitern sollte eine Kulturverwaltung wissen und, wenn schon nicht soziale Gerechtigkeit zur Maxime ihres Handelns gemacht werden kann, so doch überlegen, welche Ressourcen nachhaltiger gepflegt werden müssen. Der Boom in Mitte, der mit seiner internationalen Ausstrahlung der Stadt so gelegen kam, beruht auf einer Selbstausbeutung der Szene, deren Jugend und Enthusiasmus nicht ewig anhält. Programme der Professionalisierung, die auch Absolventen der Kunsthochschulen beim Einstieg in auf Dauer tragende Praxis helfen, fehlen aber.

Wer immer Radunskis Erbe übernimmt, muss sich mit aufgeschobenen Entscheidungen plagen. Für das Schiller Theater, die Freie Volksbühne und den Martin-Gropius-Bau fehlen noch immer Konzepte. In Unentschlossenheit stecken geblieben ist das Projekt einer Chancengleichheit zwischen Freier Theaterszene und den Gewohnheitsansprüchen der Privattheater. Winzig blieb der Schritt zur mehr Beweglichkeit in der Mittelvergabe, um auf neu entstehende Strukturen wie etwa in den Sophiensälen reagieren zu können. Nur durch Gelder aus der Metropol-Pleite konnte der Anschein der Reform gewahrt werden. Das Operettenhaus ganz aufzugeben würde noch immer genug Konkurrenten auf dem Feld der leichten Muse übrig lassen. Zumal es jetzt die neue Musicalbühne am Potsdamer Platz gibt.

Kaum ein ICE pendelt zwischen Berlin und dem Rheinland, in dem sich die Neuberliner nicht überrascht von den vielen „Städten“ Berlins erzählen. Nur: Die Kulturpolitik hat die Bezirke allein gelassen. Vor Jahren schon sollte ein „Stadtentwicklungsplan Kultur“ die Arbeit an den strukturellen Defiziten ankurbeln. Er kaum über eine Bestandsaufnahme kaum hinaus. Dass dezentrale Kultur nicht nur eine Streuung von Standorten, sondern eine integrative Qualität von Kultur meinte, spielt kaum noch eine Rolle.

Mittler zwischen Kultur und Politik ist eine Verwaltung, der die nach Sparten eingeteilten Haushaltspläne wenig Spielraum für neue Gewichtungen lassen. Mehr über Inhalte zu reden als allein über Personalentscheidungen, stünde einer Kulturpolitik an, deren energischste Aktivitäten oft denen einer Headhunting-Agentur glichen.