Heiße Pistenfahrten im coolen Pankow

Sie brettern den Hang hinab und schwingen um die Wette: Der neue Spaß in der Halle heißt Indoor-Skifahren  ■ Von Stefanie Pfingsten

Anhalten, sofort anhalten!“ Der rollende Teppich unter meinen Füßen denkt nicht dran, auf meine ersten, etwas panischen Gedanken zu reagieren. Wie eine Rolltreppe, auf der man gegen die Laufrichtung nach unten will, schiebt sich die künstliche Skipiste bergauf, will mich zum oberen Rand tragen.

Rosi Mittermaier, Christian Neureuther und allen Skiheiligen sei Dank, gibt es für Anfänger, die noch nie eine Skipiste live erlebt haben und sich schon durch die meterlangen Bretter und die schweren, unnachgiebigen Skistiefel an den Füßen leicht behindert fühlen, eine Stange zum Festhalten, während der Berg unter den Skiern nach oben flutscht.

Vor mir, auf beneidenswert festem Untergrund, steht Dirk Langusch, einer der Geschäftsführer des Berliner „Gletschers“, und erklärt mir, wie ich meine verlängerten Füße zum schneepfluggerechten V winkeln muss, um dem künstlichen Berg zu trotzen. Meter für Meter nimmt die Angst ab und das Vertrauen zu.

Die Stange loszulassen kostet Überwindung – „So muss es Kindern gehen, die laufen lernen“, denke ich noch kurz, und dann treibe ich nach oben ab. „Mach das V kleiner, mach das V kleiner“, schreit mir Dirk hinterher. Ja gerne, wollen tät ich schon, aber wie? Ah ja, so könnte es funktionieren. Ich begebe mich in Stellung. Doch kaum geht's wieder bergab, muss ich schon wieder bremsen (sprich, das V verbreitern), um nicht von der Bahn zu rutschen.

Himmel! Zum Glück sind echte Berge nicht so beweglich. Mit der Zeit funktioniert der Rhythmus zwischen Bremsen und Gleiten, zwischen breitem und schmalem Pflug aber besser.

Anstrengend ist das. Im echten Schnee kann man wenigstens theoretisch jederzeit anhalten, hier nicht. Das heißt, hier hat der Skilehrer den Berg per Fernbedienung und Knopfdruck in der Hand. Nach den ersten zehn Minuten ist mir heiß, die Waden halten jeden Vergleich mit einem Pudding aus, aber ich bin schon ein paar Schneepflugbögen gefahren und ziemlich stolz auf mich.

Heute Abend ist es ruhig auf dem „Gletscher“ in Pankow. Die Saison in Deutschlands einziger Indoor-Skianlage beginnt, wie in den richtigen Bergen auch, meist erst im November und dauert dann bis Februar.

Ariane und ihre 15-jährige Tochter Kathleen sind aber schon im Sommer regelmäßig in den Bezirk im Norden Berlins gekommen, um sich mit den Skiern beziehungsweise mit dem Snowboard anzufreunden. Denn Silvester wollen sie in diesem Jahr zum ersten Mal im Gebirge feiern, allerdings im Süden, in Obergurgl in Tirol.

Kathleen hofft nur, dass die ersten Abfahrten in freier Natur nicht mit einem Gips enden, der der Feier in die Quere kommen könnte. „Wenn ich Freunden sage, dass ich gleich zum Skifahren nach Pankow gehe, gucken die meisten erst mal komisch, weil sie die Anlage nicht kennen. Aber selbst, wenn ich's erkläre, können sie es sich nicht richtig vorstellen.“

Ist auch schwierig. Denn mit den Indoor-Skihallen, in denen eine Kunstschneeabfahrt für viel Gedränge und etwa eine halbe Minute Skispaß sorgt, hat „Der Gletscher“ so viel zu tun wie ein Trainingscenter für Langstreckenschwimmer mit einem Kinderplanschbecken.

Die ehemalige Fabrikhalle an der Berliner Straße liegt zurückgesetzt hinter einer Toreinfahrt. Zur Straße hin verkündet nur ein Schild, dass hier die „längste Skipiste der Welt“ zu finden ist. Wer die Halle zum ersten Mal betritt, ist meist ein bisschen irritiert.

Von Schnee keine Spur, obwohl die Bar, an der neben Kaffee und Mineralwasser auch Jagertee ausgeschenkt wird, sogar Tante Milla aus Bölls „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ glücklich machen könnte. Sprühschnee und Tannenzapfen zieren das überhängende Dach, auf der Theke verbreitet eine Kerze Daueradventsstimmung, und darüber baumelt ein Teddy in Pseudo-Lederhosen aus Filz und mit Tirolerhut. Alte, dekorative Holzski bemühen sich um nostalgisches „Hüttenflair“, doch damit sind die Reminiszenzen auch beendet. Mittelpunkt der Halle sind die drei Endlospisten, die wie große Laufbänder für Skifahrer aussehen und genauso funktionieren.

Vor rund einem Jahr haben Dirk Langusch und Dirk Kotoll, beide ausgebildete Skilehrer, ihre Idee einer Ganzjahresskipiste in die Tat umgesetzt. Dass die in Berlin steht, hat zwar auch mit den rund 500.000 skibegeisterten Hauptstädtern zu tun, aber vor allem mit dem Wunsch der beiden Berliner, wieder hier zu leben.

Drei Jahre haben sie an ihrer Idee gefeilt, und drei Jahre haben sie sich Zeit gegeben, um die Sache zu einem Erfolg zu machen. Der Grundgedanke dabei war: Wie kann man Anfängern möglichst schnell und sicher das Skifahren beibringen? Langusch: „Gerade für Anfänger ist das Band ideal, denn das Material verzeiht keinen Fehler. Man merkt sofort, wenn man etwas falsch macht, und so gewöhnen sich die Schüler erst gar keine falsche Technik an. Anfänger lernen hier viel schneller als im Schnee.“

Aber auch erfahrene Skiläufer können im coolen Pankow an ihrer Technik feilen. Auf dem mittleren Band üben zwei „alte Hasen“. Andrea fährt schon ewig Ski, ihr Mann Michael seit mindestens zehn Jahren. Beide sind fest davon überzeugt, hier noch einiges lernen zu können, bevor sie im Winter in Frankreich wieder echten Schnee unter die Bretter bekommen. Michael hat im Club Med von diesen Bändern gehört. Eine Holländerin, die angeblich zum ersten Mal im Skiurlaub war, erzählte, sie habe auf so einem Ding gelernt. „Die fuhr so gut, wie andere nach Jahren nicht.“

Hinter der Bar hängt ein Foto, das vier fröhlich in die Kamera lachende Skiläufer zeigt. „Grüße aus Kitzbühel“ steht darauf. Das ist eine von vielen Rückmeldungen, die das Team in der Berliner Straße erhält. „Diese vier“, erzählt Langusch, „konnten vorher gar nicht Ski laufen und sind im vergangenen Herbst regelmäßig übers Wochenende aus Kiel gekommen, um es zu lernen, denn sie waren schon lter und hatten ein bisschen Angst vorm Berg.“ Die haben sie offenbar auf dem Pankower „Gletscher“ verloren, wie die Karte aus dem österreichischen Kitzbühel zeigt.

Rund 4.500 Namen stehen bisher in der Kartei des Betreiber-Duos. Im Durchschnitt sind die Gletscher-Kunden Mitte 30, doch es gibt Ausnahmen. Die bisher älteste Schülerin, die sich hier die Ski angeschnallt hat, war 75 Jahre alt, und auch sie hat es noch gelernt.

Meine Pause ist zu Ende. Schließlich soll ich nicht nur an der Bar sitzen und mir bei Apfelsaftschorle die Erfolgsgeschichten anderer Anfänger anhören. Dirk – prinzipiell herrscht auf dem Gletscher Duzstimmung – scheucht mich zurück auf das Band. Zu behaupten, dass ich dabei Heimatgefühle kriege, wäre schwer übertrieben, aber die Angst ist weg und ich verkrampfe mich nicht mehr sofort, als er den Berg in Bewegung setzt.

Wir üben wieder Bögenfahren, ich darf mich dabei (mehr symbolisch) an den Skistöcken festhalten, die Dirk mir hinhält, und soll die Richtung allein durch Körperneigung ändern. Aha! Der Geist ist willig, allein der Oberkörper neigt nicht richtig, folglich dreht der Ski nicht richtig.

Aber mit der Zeit – fünf Minuten können einem im Dauerbetrieb vorkommen wie eine halbe Stunde – ist Dirk etwas weniger unzufrieden und die Ski tun mehr, was von ihnen verlangt wird: Sie spuren ordentlich von rechts nach links und umgekehrt.

Etwa sechs bis zwölf Kurse brauche man, um hier Skilaufen zu lernen, hat Dirk mir versichert. Ein Kurs besteht aus drei mal zehn Minuten Training und zwei Pausen. Das höre sich zwar nicht nach viel an, sei aber zumindest für Untrainierte ziemlich anstrengend.

Erst habe ich das nur geglaubt, inzwischen weiß ich es. Nun auch noch bei jedem Richtungswechsel je einen Ski leicht anzuheben finde ich schon ziemlich schwierig; die Bretter wollen immer mit mir durchgehen. Andere können auf den nur fünf Meter breiten Bändern sogar Walzer tanzen beziehungsweise fahren; Gerd, mit 53 der Senior unter den hier beschäftigten Skilehrern, übt mit seiner Tochter Showeinlagen, die auf Feiern oder jetzt zu Silvester zusätzlichen Glanz auf die Endlospiste bringen.

Bis Ende des Jahres sind bereits viele Termine ausgebucht, unter anderem für diverse Betriebsweihnachtsfeiern. Das ist praktisch, denn die Ausrüstung (Ski, Skischuhe, Skilehrer) ist im Preis enthalten, und auch ein Buffet kann dazubestellt werden; nur an bequeme Kleidung muss jeder selbst denken. (Wie sich Erinnerungsfotos von einem solchen Abend in den folgenden Wochen auf das Betriebsklima auswirken, ist eine andere Sache.)

Dirk Langusch glaubt an die Zukunft des Indoor-Skilaufs, nicht nur in Berlin. In zehn Jahren, ist er sicher, könne man in Deutschland rund 100 dieser Anlagen verkaufen. Verhandlungen gibt es bereits mit Interessenten in München, Frankfurt, Leipzig, Münster und Hamburg. Schließlich haben die beiden Gletscher-Betreiber die Idee nicht einfach aus den USA importiert, sie mussten einige Änderungen vornehmen lassen, um das so wichtige o.k. vom TÜV zu bekommen.

Ob künftige Anlagen in anderen Städten als Betreiber- oder als Franchisemodelle laufen werden, weiß Langusch noch nicht. Ganz sicher aber ist: Es reicht nicht, den Leuten einfach die Anlage hinzustellen. Ohne speziell dafür ausgebildete Skilehrer funktioniert die Sache nicht.“

Deshalb kann auch in Pankow nicht jeder, der etwas Ski laufen kann, einfach eins der Bänder mieten und drauflosfahren. Der Gletscher ist immer auch Skischule, schon aus Sicherheitsgründen. Seit seiner Eröffnung am 25. Oktober 1998 sei noch nie etwas passiert, so Langusch, und er will, dass das so bleibt. Zwei der drei Bänder sind höhenverstellbar, sodass von der blauen bis zur schwarzen Piste alles simuliert werden kann; im Extremfall ist ein Neigungswinkel von 32 Grad möglich. Zum Vergleich: Der Schanzentisch einer Sprungschanze hat einen Winkel von höchstens 36 Grad. Und damit das Ganze nicht zu langweilig wird, lässt sich der Teppich für echte Könner auf bis zu 40 km/h beschleunigen. Darauf kann ich erst mal verzichten, aber nach der Notbremse muss ich nach meiner ersten Stunde auch nicht mehr fragen.

So richtig weiß ich die Vorzüge einer Skipiste mitten in der Hauptstadt aber erst zu schätzen, nachdem ich die Skischuhe von den Füßen habe. Denn statt in eisiger Kälte im Gebirge auf irgendeinen Skibus zu warten, der mich ins Hotel bringt, muss ich bei mildem Herbstwetter nur bis zur U-Bahn an der Vinetastraße laufen, um nach Hause zu kommen.