: Papiertiger wollen wieder fauchen
■ Gebeutelte Grüne treten die Flucht nach vorne an. Mit „radikaler Kritik“ und einer Verfassungsklage gegen Schleierfahndung auf dem Weg ins nächste Jahrtausend
Grüne Oppositionspolitik soll sich künftig durch „radikale Kritik“ auszeichnen. Die Grünen wollen sich verstärkt Zukunftsthemen zuwenden und Hoffnungen formulieren, ohne dabei aber in einen „Oppositionspopulismus“ zu verfallen. Auf diese Grundlinie hat sich die 18-köpfige grüne Fraktion bei ihrer Klausurtagung am Donnerstag verständigt.
„Zu einer dramatisch neuen Weichenstellung gibt es keinen Anlass“, erklärte Fraktionschef Wolfgang Wieland gestern. Dies hatte ein Diskussionspapier des Abgeordneten Bernd Köppl (die taz berichtete) nahegelegt. Sein Vorschlag, bei politischen Vorschlägen nicht mehr so streng auf die Finanzierbarkeit zu achten, wurde abgelehnt. An der Haushaltskonsolidierung halten die Grünen fest. Doch ein wenig werden die grünen Sitten doch gelockert: Es dürfen künftig auch Vorschläge gemacht werden, ohne dass dafür gleich eine Gegenfinanzierung vorgelegt werden muss. So fordern die Grünen die Wiedereinführung des Arbeitslosentickets, ohne zu sagen, wie die BVG dies finanzieren soll.
Der Köppl-These, dass die Grünen zu sehr als „Regierungspartei im Wartestand“ agiert hätten, widersprachen die Fraktionsvorsitzenden Wieland und Künast gestern, um im nächsten Satz einzuräumen: „Wir haben jedoch vorgeführt, dass wir regieren könnten.“ Dies sei aber nicht die Ursache der starken Verluste bei der Abgeordnetenhauswahl gewesen, bei der die Grünen von 13,4 auf 9,9 Prozent abfielen. Dafür sei im Wesentlichen das schlechte Erscheinungsbild der rot-grünen Bundesregierung verantwortlich.
Landespolitisch wollen sich die Grünen auf die „Gründungsthemen“ Demokratie und Ökologie sowie die „Zukunfsfragen“ der Jugend- und Sozialpolitik konzentrieren. „Wir wollen unsere Stärken pflegen und unsere Schwächen beseitigen“, sagte Fraktionschefin Renate Künast. Das Lebensgefühl und den neuen Politikansatz der Jugendlichen hätten die Grünen bislang zu wenig erfasst. Nun wird eine verstärkte Zusammenarbeit mit SchülerInnen und StudentInnen angestrebt.
Als erste Initiative planen die Grünen eine Verfassungsklage gegen die in diesem Jahr eingeführten verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen. Wieland verwies auf ein Urteil des Verfassungsgerichts von Mecklenburg-Vorpommern, das die Schleierfahndung im Oktober für verfassungswidrig erklärt hatte. Zulässig sei diese nur in einer 30-Kilometer Zone an den EU-Außengrenzen. Berlin ist von der polnischen Grenze 60 Kilometer entfernt.
Wieland signalisierte, dass die Grünen bereit seien, Wolf Lepenies als Kultursenator mitzuwählen, aber auch die SPD-Senatoren. Vor allem für den Fall, dass es in der CDU-Fraktion Widerstand gebe, der SPD vier SenatorInnen zuzubilligen, könnten diese mit den Stimmen der Grünen rechnen.
Dorothee Winden
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