Die tiefere Bedeutung der Farbe Schwarz

■ Die Grufties betreiben die Kultur des Grabes – doch ohne historisches Bewusstsein. Nur wer eine Trauerweide im Zimmer stehen hat, zeigt sich im wahren Sinn traditionsbewusst

Schwarz ist hip. Die Farbe sagt alles und nichts. Wo das Licht fehlt, herrschen Finsternis und Tod. Schwarz ist die Farbe der Entsagung, des bitteren Leidens und der dazu passenden Gruppendynamik. Ich trage Leichenbittermiene und verzichte auf vieles (schwarz), damit die Nachgeborenen es besser haben (weiß).

Schwarze Kleidung trugen schon die sektiererischen Katharer im 12. Jahrhundert: Sie predigten Keuschheit, Armut und Kriegsdienstverweigerung. Die letzten beiden Charakteristika haben die Ur-Protestanten mit den Autonomen (schwarze Hasskappe und Lederjacke) des 20. Jahrhunderts und den Grufties gemeinsam.

Schwarz ist Uniform und Dienstkleidung, passend zum Friedhof. Der gehört zum Ambiente wie der Schießstand zum Schützenverein. Die Musik nennt sich Gothic. Die Bands spielen zwar nicht auf Friedhöfen und sind auch lauter als die dort vorherrschende Geräuschkulisse, kokettieren aber gern mit mysteriösen Namen: Dead can Dance oder Fields of the Nephilim. Grufties sind die sinnliche Opposition zur kapitalistischen Arbeitsethik. „Tote Landschaft – es ist nur Eis in meinem Herzen“, dichtet man in der Szene fürs ganz private Poesiealbum.

Grufties verhalten sich stilistisch zu Punks wie ein Krematorium zu Disneyland. An beiden Orten ist Arbeiten nicht angesagt. In der DDR hieß das: „Sie verursachten durch ihr Äußeres und die Art ihres Auftretens eine Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.“ Geldstrafe folgt. Nicht ab auf den Friedhof, sondern in die Produktion. Gothic war kommerzielle Verweigerung und authentischer Underground, bis sich die Heavys und der westliche Kommerz der Farbe Schwarz bemächtigten.

Wenn Grufties noch eine zweite Farbe dulden, dann ist es Rot. Die Farbe des Blutes ist nie statisch, sondern fließt und eignet sich gut für Winkelemente. Blut ist zuerst da, dann fließt es hinaus, ein letzter Hauch, und balde ruhest du auch. „Blut, so viel dickflüssiges Blut, in dem ich versank wie in einem Sumpf. Warum kann ich nicht sterben?“ Grufties sind eine Subkultur, die dazu verdammt ist, zur Jugend zu gehören. Wer Kinder hat, trägt Schwarz ausschließlich aus modischen Gründen. Die Lebenshaltung des Friedhofs wächst sich aus. „Auf einem alten verwesten Friedhof liegst du, keiner denkt an dich, doch du hast deine Ruh, die Würmer fressen dich auf Stück für Stück, aber du schläfst tief, oh, wie beneide ich dich um dein Glück.“ Das sagt niemand ernsthaft, der ein Baby im Arm hält.

Die zum Friedhof passende Pflanze ist die Trauerweide. Die Weide ist der Gruftie der Flora. Ihre hängenden Zweige erinnern an die schlaffen, hängenden Kutten der düster geschminkten Jugendlichen. Die Weide war in der Antike den Todesgöttinnen Persephone und Hekate heilig. Die Hexen verehrten die Weide und ordneten sie dem Mond zu, der bekanntlich Friedhöfe erleuchtet. Die Weide liebt das Wasser, die Mondgöttin spendet den Tau, und der ihr heilige Vogel, der Wendehals, nistet nur in Weiden. Der authentische Hexenbesen wird aus Weidenruten gefertigt.

Grufties stehen ikonographisch in einer anderen Tradition, als sie vermuten. Schwarz war die Farbe der geheimnisvollen, verdrängten Macht, die weiblich war, weil man ihrer nicht Herr wurde. In der bäuerlichen Überlieferung steckt sich ein abgewiesener Liebhaber einen Weidenzweig an den Hut, ein Zauber gegen die Eifersucht der dunklen Mondgöttin. Wenn Grufties traditionsbewusst wären, hielten sie sich Wendehälse als Haustiere und steckten Weidenzweige in die Blumenvase. Schwarz ist beileibe nicht automatisch ein Symbol der Trauer und des Weltschmerzes. Wenn es Grufties im Orient gäbe, trügen sie strahlendes Weiß. Das ist dort die Farbe der Friedhöfe. Burkhard Schröder
‚/B‘Zitate aus: M. Stock/P. Mühlberg: „Die Szene von innen“, Berlin 1990