Erst kommt das Fressen,dann die Wahl

■ In Uruguay wollen die konservativen Parteien gemeinsam einen Sieg des linken Präsidentschaftskandidaten verhindern

Montevideo (taz) – Fünf Kilo Mehl, zwei Flaschen Öl, ein Paket Mate-Tee, zwei Säcke Reis, eine Dose Kakao, mehrere Tüten Zucker, zwei Päckchen Nudeln und eine Schachtel Kekse. So versucht Jorge Batlle, Kandidat der Colorado-Partei für das Präsidentenamt, die Wähler von seiner Politik zu überzeugen. Kurz vor der Stichwahl am Sonntag verteilten seine Anhänger Tonnen von Lebensmitteln in Uruguays Kasernen an Soldaten. Dem Geschenkkorb fehlte zwar eine Grußkarte des Kandidaten, doch ließen die Boten wissen, der gütige Absender des Fresspakets sei Batlle persönlich.

In der Stichwahl liegen der rechtskonservative Batlle und Tabaré Vázquez vom Linksbündnis „Encuentro Progresista“ (EP) gleich auf. Sämtliche Meinungsforscher prognostizieren eine nervenzermürbende Zitterpartie für Sonntagnacht, wenn die Stimmzettel ausgezählt werden. Dabei hat die Linke die diesjährigen Wahlen in Uruguay bereits gewonnen. Beim ersten Wahlgang Ende Oktober war EP mit 40 Prozent die stärkste Partei. Abgeschlagen dahinter lagen die Traditionsparteien Colorados und Blancos. Doch deren Führungsspitzen haben jetzt gemeinsam einen Pakt geschlossen, um zu verhindern, dass EP auch den zweiten Wahlgang gewinnt und sein Kandidat Tabaré Vázquez Präsident wird.

Unabhängig vom Ausgang der Wahlen am Sonntag wird die zukünftige Regierung nicht ohne Zustimmung der Linken auskommen. Das Bündnis aus Sozialdemokraten, Sozialisten, Ex-Guerilleros und Kommunisten dominiert zwei Fünftel des Kongresses und muss daher Personalentscheidungen bei den Staatsbetrieben und in den Streitkräften mittragen. EP hat bereits angekündigt, keinen Militär zu befördern, der an Menschenrechtsverletzungen während der letzten Diktatur (1973 bis 1985) beteiligt war.

Ricky Martin, Ernesto „Che“ Guevara und Tabaré Vázquez sind die Renner der Straßenhändler an der Ecke der Avenida 18 de Julio und Ejido in Montevideo. Den linken Kandidaten gibt es dort auf Schlüsselanhängern, T-Shirts oder Feuerzeug. Wer will, kann ihn auch für umgerechnet eine Mark als Postkarte erstehen.

Auf der anderen Straßenseite, im backsteinroten Rathaus residierte Vázquez fünf Jahre lang (1990 bis 1995) als erster sozialistischer Bürgermeister der Stadt. Seine Bilanz kann sich sehen lassen. Er belebte den öffentlichen Raum, renovierte Parks und Plätze, baute in den Armensiedlungen die Kanalisation und richtete Polikliniken ein. Jeder Zweite machte in Montevideo im ersten Wahlgang sein Kreuz bei Vázquez. An jeder Ecke gibt es EP-Fahnen zu kaufen, und Parteiaktivisten verteilen fleißig Wahlaufrufe an Passanten.

Gelegentlich fährt dabei ein in den Landesfarben Blau und Weiß bemalter Bus an ihnen vorbei, aus dessen Lautsprechern lautstarker Latin-Pop dröhnt. An der Seite steht ganz groß: „Batlle“. Ansonsten ist der rechte Gegenkandidat eher in den Medien präsent. Bis wenige Stunden vor der Stichwahl bemalen EP-Mitglieder noch immer Häuserwände mit „Tabaré Presidente“ und schreiben gleich daneben: „Für ein produktives Land“.

Mit etwas mehr als drei Millionen Einwohnern leben in Uruguay weniger Menschen als in Berlin. Der kleine Staat, der einst die „Schweiz Lateinamerikas“ genannt wurde, steckt in der Krise. Elf Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos. Eine Industrie gibt es kaum. Der Staat ist größter Arbeitgeber. Schwer zu schaffen macht Uruguay das Rekordtief der Preise für Agrargüter auf dem Weltmarkt. Das Handelsbilanzdefizit beträgt rund eine Milliarde Dollar. Bei einem relativ hohen Preisniveau liegt der Mindestlohn bei nur etwa hundert Dollar. Allerdings ging die Inflation von acht auf fünf Prozent zurück.

Bei einem Wahlsieg verspricht Vásquez Sozialprogramme und eine Steuerreform, die die Reichen stärker belastet. Batlles einziges Versprechen ist eine Senkung der Mehrwertsteuer von 23 auf 17 Prozent. Ansonsten versucht er vor allem, Angst vor der Linken zu schüren. Ingo Malcher

Die zukünftige Regierung kommt in wichtigen Fragen schon jetzt nicht mehr ohne die Zustimmung der Linken aus