„Titten? Finde ich hart“

■ „Bild“-Redakteurin Katja Keßler über Inbrunst, viele Liter Sperma und Mi-Ma-Mausesack

taz: Dr. Katja Keßler, man liest Ihren Namen in unterschiedlichen Schreibweisen. Sie schreiben sich wohl mit scharfem „S“?

Katja Kessler: Tatsächlich, mit scharfem. Meine Verwandten schreiben sich lustigerweise alle mit „ss“, nur ich mit „ß“.

In England werden „Seite 3“-Mädchen wie zum Beispiel Samantha Fox berühmt, die mit ihren Nacktauftritten in den 80er-Jahren zwei Grundsteine für ihre spätere Karriere als Sängerin legte. In Deutschland wird die Frau berühmt, die die Texte darunter schreibt. Können Sie sich diesen Unterschied erklären?

In England stimmt die Story. Die Mädchen heißen tatsächlich „Sara“ oder „Nancy“ oder „Tracy“ und haben ein Pferd im Stall. Wenn das da so steht, dann stimmt das auch. Die Engländer berichten darüber mit Wahrhaftigkeit. Meine Geschichten sind alle erstunken und erlogen. Es stimmt nichts von dem, was ich da schreibe. Eines der Mädchen hat es ja trotzdem geschafft, berühmt zu werden:

Mi-Ma ...

Mausesack.

Ja, Mausesack. Das ist doch das ganze Geheimnis. Also das und die Tatsache, dass wir es in Deutschland schon mit einer gewissen Halbherzigkeit zu tun haben. Und in England ... wenn ich diese englischen Seite-3-Girls beobachte, merke ich, das da wirkliche Inbrunst dahinter steckt, dass die eine gesellschaftliche Legitimation haben. Da schicken sogar Eltern die Fotos ihrer Töchter ein. Und bei der „Bild“?

Ich war sehr überrascht, als ich zur Bild kam und dort so einen kleinen verwanzten Vorgarten fand: die Nackten. Ich nahm wirklich an, in aller Naivität, diese nackten Frauen würden vom Chefredakteur geschrieben. Na ja, die sind immerhin auf der ersten Seite.

Aber der Chefredakteur sucht die Bilder doch aus? Jedenfalls steht das überall.

Es ist so: Die gehen bei der Bildauswahl in so einer Karawane, wie bei der Polonaise Blankenese. Mit der Hand auf der Schulter des Vordermannes ziehen die um den Tisch mit den Fotos. Und irgendwann tippt dann einer auf ein Bild, und das ist es dann. Ich war und bin da allerdings zu selten zugegen, um wirklich die Auswahlkriterien zu kennen. Mir ist es auch herzlich egal, welches Bild das ist. Ich bin froh, dass ich es nicht aussuchen muss. Die sind alle gleichermaßen grausam: ob die jetzt auf dem Hocker sitzt oder am Vorhang hängt, lehnt, steht. Die bekomme ich dann auf den Tisch. Aber jetzt haben wir unser Projekt, und ich hoffe, dass ich damit mal diesen Kelch abgeben kann.

Was für ein Projekt?

Diese nackten Frauen, die waren schon in Marokko und sind auf dem Kamel geritten. Die haben schon alles gemacht, was Frauen ohne BHs so tun können. Inklusive gegensinnigen Rotierens. Und es gibt immer wieder Leute, die sagen, „Das kann ich doch auch“, und die kommen jetzt zum Zuge. Das heißt, wie ich hoffe, von einer Alice Schwarzer bis hin zu Werbeagenturen – die werden sich jetzt alle verewigen dürfen. Und ihre ganz spezielle Mieze auf der ersten Seite mit Autorenzeile finden. Das soll bald anlaufen und auch einige Zeit so bleiben, damit ich etwas Schonzeit habe.

Als der „Spiegel“ meldete, Bild würde künftig ohne die freizügigen Bilder auf Seite eins auskommen, hat „Bild“ aus Trotz gleich zwei Nackte auf einmal abgebildet. Trotzdem: Auch in England ist ein Trend weg von Nacktheit auf der Seite drei festzustellen. Berater des „Sun“-Herausgebers Rupert Murdoch meinen, mehr Frauen würden die Zeitung kaufen, wenn darin keine sexistischen Brustbilder mehr auftauchten ...

Ich finde die Bilder in erster Linie kurios. Und eine Frau, die damit tatsächlich ein Problem hätte ... Natürlich kann ich mir Frauen vorstellen, die damit ein Problem haben, die sich auch aufregen, die mich auch anrufen und befinden, ich solle den Weg zu Gott zurückfinden. Aber wenn man einen gewissen Grundhumor mitbringt, dann guckt man sich – als Frau zumindest – die Bilder an und denkt ... arme Männer. Arme Männer, die drauf abfahren.

Für wie viele Liter sinnlos verspritztes Sperma sind Sie verantwortlich?

Hoffentlich muss man das nicht in Hektolitern messen. Aber ich glaube, dass diese Texte dem eigentlich eher kontraproduktiv sind. Ich glaube, dass diese Texte die beste Maßnahme gegen jegliche Form von Erektion sind. So absurd sind die, dass die keiner für voll nehmen kann. Also einer, der diese Texte liest und in Stimmung kommt, den würde ich mir gerne angucken.

Einer sitzt Ihnen gegenüber.

Hey, super. Aber Tatsache ist: Man wird ja hart im Nehmen. Wir haben mal in Zusammenarbeit mit Sat.1 eine Stripperin gesucht. Und da gab es Fotos ... Ich erinnere mich noch sehr gut: Das war eine Frau, die stand vor einer Schrankwand, und neben ihrer Schrankwand stand das Bett, und zwischen Bett und Schrankwand lag diese Zewa-Rolle, und sie stand davor. Das ist die deutsche Wirklichkeit ... Wofür die Zewa-Rolle? Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ich glaube nicht, dass ich für diese Liter verantwortlich bin. Wenn überhaupt, dann sind das die Bilder. Um der Realität gerecht zu werden: Die Leute, die diese Fotos als Nun-ja-Vorlage gebrauchen, die werden die Texte nicht lesen. Und die Leute, die eher den Texten geneigt sind – die sind nicht die Klientel, die sich bei diesen Bildern warme Gedanken macht. Aber – wer weiß? Männer, die unbekannten Wesen.

Was halten Sie von folgenden Begriffen für weibliche Rundungen: Titten?

Finde ich hart. Ist aber tausendmal besser als Brüste – das klingt so akademisch, anatomisch.

Aber bei Titten, da weiß man, was man hat?

Ich benutze das Wort nie. Aber da ist Schmackes hinter. Eigentlich bin ich nicht so roh wie meine Texte. In Bezug auf die Miezen spreche ich lieber von Möpsen. Aber ich selbst würde nicht behaupten, dass ich welche hätte.

Möpse sind doch Hunde?

Das Wort ist absurd. Genauso wie das Wort Schlüpfer absurd ist.

Bälle?

Grau-en-haft. Aber es ist ein Bild, das für mich funktioniert. Ich benütze in diesen Bildtexten Wörter, die ich privat nie benützen würde.

Melonen?

Fürchterlich. Da stelle ich mir einen Proll vor, der die Daumen im Jacket eingehakt hat, der spricht von Melonen. Fürchterlich.

Letzter Versuch: Ohren? Kennen Sie das schon?

Es gibt wohl kein Wort in diesem Zusammenhang, das mir unbekannt ist. Gezwungenermaßen. Das ist mein Beruf. Aber Ohren ... das ist alles Proleten-Deutsch. Wenn da die Kuddels am Stammtisch zusammensitzen, und sagen „Wow, hat die große Ohren“... Na ja ... Würde ich einen Freund haben, der über Ohren spricht – der hätte gleich verloren.

Interview: Stefan Kuzmany