„Ich will Entspannung!“

■ Ein Gepräch mit dem 52-jährigen Iggy Pop, der heute in Hamburg auftritt, über seine neue Platte, Wut als Luxus und Schwule Von Holger in't Veld

Anfassen erlaubt: Die nahbarste Lederhaut des Rock 'n' Roll weiß um sein Kapital. „Die Geschichten“, sagt Iggy Pop, „sind alle schon geschrieben. Was die Leute jetzt noch wollen, ist mich berühren, um sagen zu können: ,Den gibt es wirklich – we talked to the Body.'“ Alsdenn: Den schlichten, sympathischen, unkaputtbaren, wilden Spund gibt es wirklich. Er will jungen Sex, alte Autos und seine Ruhe, manifestiert auf Avenue B, dem neuen, nach Alterswerk schmeckendem Rückblick.

taz:Es gibt bereits eine Best of Iggy Pop. Impliziert das, dass das Beste hinter Ihnen liegt?

Iggy Pop: Keinesfalls. Diese Platte ist das Beste, sie transzendiert alles, was ich bisher gemacht habe. Und ich habe schon einigen guten Scheiß gemacht.

Dabei klingt die Platte deutlich ruhiger als alles zuvor. Ist es Müdigkeit oder eine andere Form von Energie?

Ich bin in ein Problem hineingerannt. Bislang habe ich Lärm benutzt, um Leben in meine Musik zu kriegen. Das hat die Stücke vorangetrieben und es möglich gemacht, an den Moment zu glauben, auch für mich. Aber je älter ich werde, desto schwerer fällt es mir. Junge Leute sind einfach lauter als alte. Normalerweise war ich darin besser. Nicht dass wir uns falsch verstehen (grinst breit): Es ist noch Leben im Kadaver, und ich bin immer noch gut für ein paar harte Schläge, aber ich kann nicht mehr über die vollen zwölf Runden gehen. Meine Strategie war es also, etwas zu machen, was nicht so sehr vom Lärm abhängt.

Das nächste Problem war dann, etwas zu finden, worüber ich singen wollte. Ich habe das Gefühl, die etablierten Künstler kaufen in der Nacht vor den Aufnahmen eine Zeitung und schreiben schnell was zusammen. Ich finde keine Inhalte im Pop dieser Tage. Es ist ein Business, die Leute sind zu beschäftigt um nachzudenken. Zum Glück geht es mir anders, ich habe keinen besonderen Ort, ich lebe mit niemandem zusammen, ich bin an einem Punkt, wo ich keinem Image und keinen Erwartungen folgen muss. Ein gute Atmosphäre für Songwriting.

Was ist mit Wut?

Oh, ich habe immer noch soviel Wut in mir wie damals, aber ich kann mir diesen Luxus nicht mehr leisten. Ich habe nur noch eine bestimmte Zeit zu leben, und ich will es genießen. Ich will Zufriedenheit, Entspannung, ich will alles, was alle wollen: Macht, Geld, Respekt, Familie, Sex, Liebe, Wachstum, Kunst, Religion. Und ein geiles Auto. Das erfordert präzise Arbeit, und dabei stört Wut. Es geht um Überlegung, nicht um Reaktion.

Und auch nicht darum, irgend jemandem etwas zu beweisen?

Das Einzige, was ich mir selbst beweisen wollte, ist, dass ich in der Lage bin, Musik zu machen, die weder auf Noise noch auf Maschinen basiert. Ich kann die ganze Platte jetzt und hier auf der Gitarre spielen.

Stellen Sie sich vor, sie wären 20. Würden Sie diese Platte anhören?

Ich würde, ja. Aber als ich 20 war, war meine liebste Platte September Of My Years von Frank Sinatra. Ich bin nicht normal. Leute, die ausschließlich Jugendkultur kaufen, sind auch nicht mein Ziel, das ist mir zu beschränkt. Es geht darum, dass die Musik Substanz hat, und dann kann jeder damit etwas anfangen, egal ob mit 8 oder mit 80. Wenn sie eine offene Seele haben.

Wissen Sie, ob Sie Fans in Ihrem Alter haben?

Ich glaube kaum. Als ich angefangen habe, war ich 21 und habe für Leute von 20 bis 30 gespielt. Jetzt bin ich 52 und spiele für Leute von 15 bis 25. Klar, ich würde gerne Leute in meinem Alter sehen. Aber was soll's.

Gibt Ihnen diese Struktur nicht auch das Gefühl, gebraucht zu sein?

Ich weiß nicht, ja, aber diese Platte hat ja nun durchaus auch etwas Verschnarchtes. Aber Dude, ich bin 52! Ich brauche drei Stunden um aufzuwachen, hey!

Auf der Platte finden sich ein paar homophob lesbare Anspielungen. Wie ist Ihr Verhältnis zu Schwulen?

Oh, das ist nicht ernst. Mein Verhältnis zu Schwulen ist sehr gut. Ohne die Schwulenszene wäre ich vielleicht nicht hier. Sie haben mich Ende der 60er Jahre hochgebracht, sie, die Highschool-Dropouts und die Außenseiter mit Hautproblemen. Ich komme immer noch besser mit Homos klar als mit Heteros. Wir haben viele Gemeinsamkeiten – außer, dass ich nicht schwul bin. Weswegen es mir wahrscheinlich viel besser ginge, wenn ich schwul wäre.

Nie gewesen?

Nein. Alle meine Freundinnen wollten das von mir wissen, alle wollten wissen, ob ich David Bowie gebumst habe. Habe ich aber nicht.

heute, 21 Uhr, Große Freiheit