Sei schön tot, mein Scheißerle

■ Statt Faust II ist jetzt im Theater am Goetheplatz ein Schauspiel frei nach der tragischen Farce „Die Stühle“ zu sehen. Manfred Karge inszeniert das Ionesco-Material als hoch konzentrierten Abgesang auf Bremen und den Rest der Welt

Manchmal ist einem in dieser Gegend schon seltsam zu Mute. Wenn es auf der Insel zwischen Wallgraben, Weser und Wattenmeer wieder besonders grau und trostlos ist, wenn hier zu Lande der immer gleiche Theater- und Kulturstreit gestritten wird und wenn trotz neuer Etiketten des Bremen-Marketings aus der Wirklichkeit nur der ganz normale Wahnsinn hervorlugt, dann möchte man wirklich manchmal einpacken, aufgeben, weiter ziehen. Klaus Pierwoß, der Intendant des Theaters am Goetheplatz, war, wie man hört, schon kurz davor und ist es vielleicht noch. Es geht ihm, wie man inzwischen auch hört und selber weiß, nicht alleine so. Jetzt hat sich in Pierwoß Auftrag der Faust-I-Regisseur Manfred Karge anhand von Eugène Ionescos „Die Stühle“ Gedanken über die Malaise gemacht. Und der hat ohne große Schonung für SchauspielerInnen und Publikum im großen Haus am Platz der Pyramide etwas Ionesco-Material aus der „tragischen Farce“ herausgebrochen.

Da wackeln zwei Alte über die leere Riesenbühne. Nur mit einer Soufflersmuschel ist sie bestückt. Es klötert und rappelt, wenn die Alten an den Seiten verschwinden. Doch wenn sie sichtbar sind, halten sie sich noch ganz gut auf den Beinen. „Diese Stadt“, sagt Er bald und zupft dabei an seiner abgewetzten Strickjacke herum, „kommt einem vor wie eine Kindertagesstätte. Oder wie ein Velodrom.“ Und Sie, die Semiramis heißt und statt hängender Gärten ein glänzendes Kleid mit hängenden Falten zur Schau trägt, nickt verständig. Im Saal also merkt man sofort, dass der Spielleiter Manfred Karge wie beim Faust I wieder etwas Material (hier: von Goethe, Schiller, Ostrowski, Müller und Ionesco selbst) hinzugefügt hat.

Bei Eugène Ionesco nämlich sind die beiden zwei Tattergreise, die Volk und Welt zu einem letzten Fest einladen. Ein Redner, der nicht sprechen kann, soll den Gästen, die für das Publikum unsichtbar sind, nach dem Selbstmord der beiden Alten eine Botschaft für die Menschheit vortragen. Bei Karge, der wegen Erkrankung des Hauptdarstellers kurzfristig von der geplanten Faust-II-Inszenierung auf Ionesco umdisponierte, ist alles bloß Theater. Die beiden Alten sind zwei SchauspielerInnen, die den Absprung nicht geschafft haben. In dieser Stadt gewordenen Kindertagesstätte auf der „Insel zwischen Wallgraben, Weser und Ähi hiÜ Wwwwaattttennnmeer“ schwelgen sie in vergangenen Theaterzeiten und erzählen sich Witze, über die sie nur selbst lachen können.

Längst ist die Endzeit angebrochen. Deshalb darf das Paar auf der Bühne weder witzig, noch richtig tragisch noch tragikomisch sein. In diesem Theater glotzt längst keiner mehr romantisch, er nimmt höchstens mit leiser Bewunderung zur Kenntnis, wie hoch konzentriert zwei gute SchauspielerInnen zwei schlechte SchauspielerInnen spielen und das Publikum zwei Stunden lang nicht bei guter, aber immhin bei Laune halten. Monoton abgehackt kaut und deklamiert Lore Brunner als Alte ihre Worte. Doch ihrem Partner Sebastian Dominik, dem schon lange eine Hauptrolle zu gönnen war, hat der Spielleiter nicht alle Nuancen austreiben können. So ist es mal wieder ein kleines Wunder, wie in diesem Kammerspiel im dafür viel zu großen Haus Akteure und ZuschauerInnen zu Verschworenen werden und sich – bei der Premiere – doch nur ein einziger Buhrufer gegen den Regisseur verschwört.

Demnach ist Karges Saat wohl aufgegangen. Selbst die im Original nur kurz und unverständlich gestotterte, hier aber von Manfred Ionesco dazu montierte Botschaft an die Bremer Menschheit hört man sich geduldig an. Ebenso hoch konzentriert gut-schlecht wie die beiden anderen trägt Andreas Herrmann als der Fremde diese Botschaft vor, nachdem er aus dem (Bremer) Hinterbühnen-Dauerregen an die Rampe getreten ist. Es ist so eine rechte Endzeit-Rede, die er da zum Besten gibt. Sie beginnt pamphletisch, aber müde und endet selbstreferenziell.

Schon einmal übrigens wurde am Goetheplatz so ein selbstreferenzielles Theater gemacht. Der ehemalige Intendant Hansgünther Heyme stellte in seiner Inszenierung der Puccini-Oper „La Bohème“ demonstrativ Kargheit zur Schau. Damals buhte sich das Publikum hinterher die Stimme aus dem Leib und blieb dann einfach weg. Heute klatschen die (Premieren-) ZuschauerInnen im bei weitem nicht ausverkauften Theater überaus freundlichen Beifall. In diese Inszenierung wird es trotz Prophezeiungsverbot des Redners nicht in Scharen strömen. Und es wird damit die richtige Entscheidung treffen (obwohl man vor allem die beiden Alten herzen möchte). Viel eher wird es die buchstäblich in letzter Minute fertiggestellte Pyramide aus 2.000 Stühlen auf dem Platz vor dem Theater als imposant bestaunen. Doch wer drin war im Stück, wird die Pyramide als das sehen, was eine Pyramide ist: als ein riesiges Grabmal.

„Der Himmel“, sagt Er schließlich zu ihr, „färbt sich purpurrot, wir sterben den Theatertod.“ Und kurz darauf die letzten Worte: „Sei schön tot, mein Scheißerle.“ Und Sie antwortet: „Ja Schätzchen.“ Dann geht das Licht aus. Doch auch die Endzeit sollte endlich mal zu Ende sein, finde ich. Mit anderen Worten: Lieber Klaus Pierwoß, bleiben Sie noch. Wir bleiben ja auch – noch ein bisschen. Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 4., 11. und 23. Dezember um 19.30 Uhr