Soldaten sind Schauspieler

Für die Babelsberger Stalingrad-Verfilmung läuft gerade das größte Casting, das Berlin je gesehen hat. 5.000 Komparsen spielen die 6. Armee. Militärische Erfahrung ist gefragt, Öffentlichkeit dagegen nicht  ■ Von Christoph Rasch

Der kurz geschorene Muskelmann an der schweren Stahltür ist knapp und verbindlich: „Militärische Erfahrung und sportliche Aktivitäten bitte mit angeben.“ Der Andrang ist groß auf dem zweiten Hinterhof: Tausende Junge und Alte, Bodybuilder, Studenten, Rentner und Hausfrauen strömten am vergangenen Wochenende in die unscheinbare Fabrikhalle in der Kreuzberger Fidicinstraße. Doch keine militante Untergrundsekte rekrutierte hier Mitglieder – und auch kein Kreuzberger „Fight Club“-Ableger. Hektik, Scheinwerfer und wichtige Leute mit Ausweisen um den Hals machen klar – man ist beim Film.

Das kommende Stalingrad-Epos „Enemy at the Gates“ soll mit 150 Millionen Mark Produktionskosten der teuerste jemals in Europa realisierte Kinostreifen werden. Gedreht wird unter der Regie von Jean-Jacques Annaud (“Der Name der Rose“) ab dem 17. Januar in den Studios in Potsdam-Babelsberg sowie in Braunkohlegruben und alten Kasernen im Brandenburgischen. Und auch die 5.000 Statisten des Films sollen aus der Region kommen.

„Wir besetzen hier keine Soap, wir besetzen Hollywood“, sagt Iris Müller. Ihre Berliner Agentur managt die zweitägige Aktion: „Das umfangreichste Casting, das Berlin je erlebt hat“, läuft ab wie eine erkennungsdienstliche Behandlung am Fließband: Mit der Nummernschild vor der Brust warten die Bewerber, zuvor von Alter bis Schuhgröße in der Agentur-Kartei erfasst, vor der blauen Fotowand auf ihren Schnappschuss fürs Archiv.

„Nummer 1464: deutscher Soldat“, ruft Iris Müller nach einem ersten Blick und Baldur Hövels ist für seine „Paraderolle“ gemustert. „Der historische Hintergrund des Films interessierte mich sehr“, sagt der 23-jährige Student, der auf ein Sprungbrett in die Medienwelt hofft. Er wundert sich aber, sagt er, warum es wenige Jahre nach Joseph Vilsmaiers „Stalingrad“-Streifen schon wieder eine Verfilmung des Themas geben soll.130 Mark Gage am Tag plus Verpflegung warten auf die, die als Komparsen ausgewählt werden – und das Prestige, in der bislang teuersten in Europa gedrehten Filmproduktion einen – wenn auch kurzen – Auftritt zu haben.

Die 16-jährige Schülerin Catherine Aquino ist zu ihrem ersten Casting extra aus Reinickendorf angereist. In der Schule, erzählt sie, habe man gerade „Im Westen nichts Neues“ behandelt. „Da freut es doch den Lehrer“, meint sie, „wenn man sich auf diese Weise noch ein bisschen weiterbildet.“

Wolfgang Schönbrunn hingegen war acht Jahre alt, als Stalingrad im Zweiten Weltkrieg fiel. Jetzt hofft er auf eine Statisten-Rolle im Annaud-Film. „Für mich ist das vor allem Flucht aus dem Alltag“, sagt der rundliche Tiergartener, der bereits in einer Rolle als aufdringlicher „Reporter“ im Roy-Black-Film vor der Kamera stand. Auch Schönbrunn steht nun bis Januar für „Enemy at the Gates“ auf Abruf bereit und wartet wie tausende andere auf die ersehnte Nachricht von der Casting-Agentur.

Und viele warten vergeblich. „Bitte nehmen Sie Abstand von ständigen Nachfragen“, steht deshalb vorsorglich fett gedruckt im ausgeteilten Infoblatt. Und das, gibt Iris Müller unzweideutig zu verstehen, gilt auch für Journalisten. Denn über das Stalingrad-Projekt sei, wie eine Sprecherin der Produktionsfirma Duel Film erklärte, bis zum Drehbeginn ein „Informationsstopp“ verhängt worden.