Im Schatten der unsichtbaren Moschee

Die Nazarener gehen zerstritten und missmutig ins neue Jahrtausend. Im Konflikt um den Bau einer Moschee zeigen sich die widerstreitenden Interessen weltlicher und religiöser Gruppierungen in der Stadt   ■  Aus Nazareth Susanne Knaul

„Wer nicht weiß, wo er herkommt und wer er ist, kann die Zukunft der Gesellschaft nicht aktiv mitgestalten.“

Aufblasbare Plastikweihnachtsmänner und künstliche Tannenbäume, behangen mit bunten Lämpchen, sind für die Spielzeug- und Schreibwarenläden in diesen Tagen die Waren mit der höchsten Nachfrage. Besondern variantenreich ist das Angebot von Lichterspielen – je bunter, desto begehrter. Es ist Vorweihnachtszeit in Nazareth, und es ist eigentlich wie immer. Endlose Autostaus an der Stadteinfahrt, Touristenbusse, die von Kirche zu Kirche steuern, junge Mütter mit Kinderwagen und – vermutlich, weil es gerade anfängt zu regnen – eher langweiliger Betrieb auf dem Marktplatz.

Und doch hat sich Nazareth verändert. Neue Straßenbeläge, ein paar Luxushotels, Bürgersteige, Boutiquen und sogar vereinzelte Grünanlagen vor allem im Bereich des Obstmarktes machen die Stadt zumindest äußerlich moderner und hübscher. Immerhin sind zu diesem Zweck 80 Millionen Dollar aus dem Staatshaushalt geflossen. An einigen Ecken legen Bauarbeiter letzte Hand an. Bis zum Millennium, so versichern sie, soll von dem Schutt und den Kalkbergen nichts mehr zu sehen sein.

Noch gar nicht angefangen hat der Um- und Neubau allerdings auf dem Platz vor der Verkündigungskirche. An dem heiligen Ort, wo einst Maria von ihrer unbefleckten Empfängnis erfahren haben soll, steht heute die größte christliche Gebetsstätte im gesamten Nahen Osten. Beim Vorbeifahren ist allein der obere Teil sichtbar, denn rings um die Kirche ziehen Wohnhäuser einen Ring, der nur auf einer Seite offen ist. Bis vor zwei Jahren stand an dieser Stelle eine aus osmanischer Zeit stammende muslimische Schule, die abgerissen wurde, um den Platz zur „Piazza“ umzugestalten. Ein kleines Informationsbüro, ein paar Bäume und Parkbänke waren geplant, doch abgesehen von frischem Teer deutet darauf nichts hin. Schuld daran ist der Konflikt zwischen der weltlichen Stadtverwaltung, die einst den Abriss der Schule befahl, und den Islamisten in der Stadt, die darauf beharren, gerade hier eine Moschee zu errichten. Schließlich habe auch die abgerissene Schule auf muslimischem Grund gestanden, so ihre Argumentation. Nach zwei Jahren heftiger Auseinandersetzungen schien in der vergangenen Woche ein Kompromiss erreicht. Die Islamisten erklärten sich bereit, ihr provisorisches Gebetszelt wegzuräumen und mit dem Bau der Moschee bis nach dem Millennium zu warten. Im Gegenzug würde der Staat das für den Bau notwendige Land für das neue muslimische Gebetshaus beisteuern. Es wird zwar nicht ganz so groß, wie es sich die Islamisten gewünscht hatten, dennoch akzeptierten sie das Angebot. Zusammen mit der Stadtverwaltung wollten sie nun gemeinsam die Gestaltung der „Piazza und Moschee“ vor der Verkündigungskirche ausarbeiten. Offenbar um sicherzustellen, dass der Kompromiss von beiden Seiten eingehalten wird, bauten sie aber kurzerhand ihr Gebetszelt wieder auf. Als Vertragsbruch sahen sie das nicht. Das Zelt sei „nur da, weil es regnet“, erklärt Achmad Soabi, ein Sprecher der Gruppe. „Es ist mit automatischer Hebe- und Senkvorrichtung versehen und wird nach jedem Gebet wieder runtergelassen.“ Doch die technischen Einrichtungen, die Bastmatten und Teppiche, auf denen die Betenden knien, all das bleibt auch bei Sonne und in der Zeit zwischen den Gebeten auf dem den Moslems versprochenen Areal liegen. Auch das Schild mit der Aufforderung, „Hände weg vom muslimischen Land“, hängt am alten Platz. Für die Christen in der Stadt bedeutet es eine permanente Provokation.

„Das haben die vom Platz aufgestellt“, sagt Mustafa, der unmittelbar hinter dem Schild Humus und Falaffel verkauft. Auf dem Dach seiner Imbisshalle steht eine grell-grüne Halogenlampe in der Form einer Moschee mit Stern und zwei Halbmonden. Mustafa hat nichts dagegen, dass die Islamisten sein Geschäft „dekorieren“. In dem kleinen Restaurant sitzt ein junger Mann und zieht an einer Wasserpfeife. Ansonsten ist es leer. Dabei könnte es kaum verkehrsgünstiger liegen. Als eine Gruppe von vielleicht 50 Touristen an dem Laden vorbei zur Verkündigungskirche hinauf geht, macht kein einziger Halt. Tatsächlich ist der kleine Laden mit seinen leicht schmuddeligen Plastiktischen nicht sonderlich einladend. Doch Mustafa hat eine andere Erklärung: „Das liegt an der Mafia“, sagt er. Damit meint er das Abkommen zwischen den Reisebegleitern und jüdischen Restaurants, die ihnenProzente zukommen lassen. Das müsste zwar niemanden davon abhalten, wenigstens ein kaltes Getränk einzukaufen, aber, meint Mustafa, „die Touristen werden ja ständig zur Eile angetrieben“. Wie günstig hätte sich die geplante „Piazza“ für das Geschäft mit Humus und Fallafel auswirken können. „Nicht solange die Mafia aktiv ist“, kontert Mustafa.

Solche Mutmaßungen mögen absurd klingen, doch sie sind nicht völlig aus der Luft gegriffen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Restaurants und Souvenirläden denen etwas zahlen, die ihnen die Kundschaft bringen. Von einer Mafia zu reden, ist zweifellos übertrieben, doch die Wortwahl mag ein Indiz sein für die große Frustration über das ausbleibende Geschäft. Ähnlich drastisch sind die Formulierungen, in denen Vertreter der beiden zerstrittenen Seiten über die Ursprünge des Konflikts um den Kirchenvorplatz reden. In seltener Übereinstimmung machen sowohl die Islamisten als auch Vertreter der Stadtverwaltung die israelische Regierung und den Schabak, den Inlandsgeheimdienst verantwortlich. So habe die Polizei Befehl gehabt, sich bei den Unruhen nicht einzumischen, was dazu führte, dass die Auseinandersetzungen immer gewalttätiger wurden. Die Gerüchte gehen bis zu der Behauptung, dass als Christen verkleidete jüdische Provokateure Angriffe auf das Zelt der Moslems verübt hätten. Ungeachtet dessen, wieviel davon der Wahrheit entspricht, besteht kein Zweifel, dass die Regierung den Konflikt in Nazareth viel zu lange nicht ernst nahm und dass zahlreiche Fehlentscheidungen getroffen wurden. Dazu gehört – zumindest in den Augen der Stadtverwaltung n – auch der Kompromissvorschlag, eine kleinere Moschee auf dem Platz zu genehmigen.

Bürgermeister Rames Jeraisi akzeptierte den Jerusalemer Lösungsvorschlag wider Willen. Der Gerichtsentscheid über die Grundstücksverhältnisse hatte den Islamisten lediglich 250 Quadratmeter zugesprochen, dort nämlich, wo das Grab des moslemischen Kriegshelden Shihab ad-Din liegt. Der Bau einer Moschee wäre nicht in Frage gekommen, hätte nicht der Minister für innere Sicherheit Schlomo Ben-Ami die Idee gehabt, den Islamisten Staatsland zu schenken. Auf genau dieser Fläche steht nun das berüchtigte Gebetszelt mit der Hebeanlage. Dass hier noch lange keine Ruhe einkehren wird, ist bereits abzusehen. Nabila Espaniola, Aktivistin der Partei von Bürgermeister Jeraisi, der Demokratischen Front für Frieden und Gleichberechtigung, vermutet politische Gründe hinter der Entscheidung Ben-Amis: „Dass meine nationalen Rechte als Palästinenserin auf die Religionszugehörigkeit reduziert werden, liegt im israelisch-jüdischen Interesse.“ Die junge Sozialarbeiterin wehrt sich dagegen, den Konflikt um den Kirchenvorplatz als einen Konflikt zwischen Christen und Moslems zu betrachten. Es sei vielmehr ein Kampf zwischen weltlich-demokratischen Kräften und Fundamentalisten. „Mir geht es nicht nur um den Platz, sondern ich kämpfe um menschliche Werte, für Demokratie und eine gerechte Gesellschaft.“

Nazareth ist die größte arabische Stadt in Israel. Schon zur Zeit der Militäradministration formierten sich hier politische Gruppen. Eine führende Rolle bei Demonstrationen gegen Diskriminierung spielten vor allem die überwiegend weltlich-linken Aktivisten der Demokratischen Front, der sowohl Christen als auch Moslems angehören und „leider auch einige Fromme“, wie Nabila Espaniola lächelnd bedauert. Hand in Hand arbeiten die arabischen Israelis an der Definition ihrer eigenen Identität. Dazu gehören Lehrpläne für den Geschichtsunterricht in den Schulen. „Wer nicht weiß, wo er herkommt und wer er ist, kann die Zukunft der Gesellschaft nicht aktiv mitgestalten, sondern wird mitgezogen und bleibt marginal“, erklärt Nabila. Der Streit um den Platz vor der Verkündigungskirche habe unnötige Energien verbraucht, auch mit Blick auf das Jahr 2000. „Ob es hier Partys geben wird, ist überhaupt nicht sicher“, meint Nabila und überlegt, ob sie an Silvester nicht lieber nach Bethlehem fahren soll.