Der Westen ist unsere einzige Hoffnung“

■ Iljas Achmadow, Außenminister der von Russland nicht anerkannten tschetschenischen Regierung

taz: Die westlichen Regierungen kritisieren vorsichtig, aber zunehmend deutlich den neuen Krieg Russlands gegen Tschetschenien. Reicht Ihnen das?

Iljas Achmadow: Der Druck der westlichen Welt auf Russland ist unsere einzige Hoffnung, dass dieser Krieg, der für unser kleines Volk den Genozid bedeutet, beendet wird und Verhandlungen durchgesetzt werden. Die Infrastruktur Tschetscheniens war bereits nach dem Krieg von 1994 bis 1996 völlig zerstört. Der jetzige Krieg, die pausenlosen Bombardements unserer Dörfer und Städte, hinterlässt nur noch Ruinenfelder.

Worin sehen Sie die Unterschiede zu dem ersten Krieg von 1994 bis 1996?

Der jetzige Krieg ist die Antwort Russlands auf die amerikanischen Bombardements im Kosovo und kopiert die Strategie der Zerstörung aus der Distanz. Besonders die Raketenangriffe haben eine verheerende Wirkung. Grausam ist auch die Anwendung international geächteter Vakuum- und Splitterbomben und die Bombardierung von Flüchtlingen. Im Unterschied zu dem Krieg von 1994 bis 1996 befindet sich Tschetschenien in einer Informationsblockade. Erschreckend ist die weitgehende Zustimmung der russischen Öffentlichkeit zu dem Abschlachten der Tschetschenen. Die aufgestaute Wut der Russen über ihr eigenes Elend wurde mit einer geschickten Propagandalüge auf die Tschetschenen gelenkt, wie der der Deutschen 1933 auf die Juden.

Sie sind sicher, dass hinter den Bombenanschlägen in russischen Städten keine Tschetschenen stehen?

Angriffe auf wehrlose Frauen und Kinder – das ist schändlich und nicht unser Stil. Sollten tatsächlich Tschetschenen an den Bombenanschlägen beteiligt gewesen sein, wurden sie dafür vom russischen Geheimdienst bezahlt.

Das Feindbild der „islamischen Terroristen“ wurde gestärkt durch die Entführungen in Tschetschenien, durch die grausame Ermordung von Mitarbeitern des Roten Kreuzes und anderer Hilfsorgansisationen.

Das Ziel dieser Entführungen war eben die Destabilisierung Tschetscheniens und das Verhindern von ausländischen Kontakten zum Wiederaufbau des Landes. Der Krieg war 1996 nur scheinbar zu Ende und wurde als kalter Krieg weitergeführt. Die meisten Entführungen wurden vom russischen Geheimdienst organisiert, aber natürlich waren an ihnen auch tschetschenische Verbrecher, wie Barajew, beteiligt. Sie müssen sich vorstellen, dass für eine Entführung mindestens acht Mann und zwei Autos nötig sind, die Grenzposten müssen eingeweiht sein. Das ist nur möglich, wenn dahinter eine Organisation steht. Es ist die Schuld der tschetschenischen Führungseliten, dass sie sich in politischen und religiösen Fragen zerstritten haben, statt gemeinsam die Kriminalität zu bekämpfen und eine zivile Ordnung aufzubauen. Es ist schwer, ein Land zu regieren, wenn es sich in absoluter sozialer Verzweiflung befindet.

Wie werten Sie den Einfluss radikaler islamischer Bewegungen, zum Beispiel der Wachhabiten?

Wir sind Sunniten – extreme Richtungen des Islam sind uns fremd. Die sogenannten Wachhabiten finden bei der tschetschenieschen Bevölkerung keine Unterstützung. Natürlich ist das Angebot für junge Leute, die nicht wissen, wovon und wofür sie leben sollen, verlockend, wenn ihnen Geld und Kleidung angeboten wird und die Idee, dass alle, Arme und Reiche, vor Allah gleich sind.

Was erwarten Sie von den westlichen Ländern?

Ich erwarte von ihnen, und auch von der OSZE und der UNO, dass sie das Ausmaß der humanitären und ökologischen Katastrophe des russischen Krieges in Tschetschenien begreifen und alles tun, um das Morden zu beenden. Es ist unmoralisch, nach zwei furchtbaren Kriegen von den Tschetschenen zu verlangen, russische Staatsbürger zu sein. Aber abgesehen davon sollten die westliche Welt sehen, dass Russland nicht in der Lage ist, Tschetschenien zu stabilisieren. Russland ist mit sich selbst beschäftigt, und auch dieser Krieg hat vor allem mit der russischen Innenpolitik zu tun. Nur die westlichen Länder wären in der Lage, beim Aufbau ziviler Stukturen in Tschetschenien zu helfen, das wurde leider nach dem ersten Krieg versäumt.

Interview: Ekkehard Maas