piwik no script img

intershopDie allen das Leben schenkt

■ Von Wladimir Kaminer

Unsere Freundin Katja begeisterte sich für Castaneda. Sie las alle seine Bücher, die sie kriegen konnte, kaufte Meskalin-Kakteen und eine spezielle Heizlampe für 160 Mark dazu. Sie fuhr oft zu geheimen Treffen, wo sie mit anderen Castaneda Fans gemeinsam spirituelle Erfahrungen hatte. Und das sogar mehrmals. Nach relativ kurzer Zeit konnte sie ohne jegliche Anstrengung ihr Bewusstsein von ihrem Unterbewusstsein, und ihren Körper von ihrem Geist trennen. Auf diese Weise verschaffte sich Katja ständigen Zugang zur astralen Welt, in der sie viele interessante Persönlichkeiten kennen lernte, unter anderem Castaneda selbst.

Es lief hervorragend, bis sich eines Tages der Geist und der Körper nicht wieder zusammenfanden – und beide in getrenntem Zustand in die psychiatrische Abteilung der Königin Elisabeth Herzberg-Klinik in Lichtenberg eingeliefert wurden. Dort setzte man Katja mit Hilfe der modernen Medizin (wozu unter anderem eine „Schlagzeugtherapie“ gehörte) wieder zusammen. Ihre Gesundheit normalisierte sich, doch der Zugang zur astralen Welt wurde ihr streng verboten.

Unter Anleitung eines Arztes überdachte Katja ihr Leben gründlich und kam zu der Überzeugung, dass ihre Lebensaufgabe darin bestünde, neues Leben in die Welt zu setzen. Bescheiden fing sie mit Hunden an.

Ihr Mann, ein nicht besonders erfolgreicher Geschäftsmann, hatte gerade Pech mit einer neuen Geschäftsidee gehabt: Er wollte mit einem Getränkeverkauf bei der Loveparade reich werden. Irgendwelche Schurken hatten ihm jedoch einen Standplatz auf der falschen Straße verschafft. Den ganzen Tag wartete er vergeblich auf durstige Raver, stattdessen kam nur eine alte Frau vorbei, die ihm aus Mitleid eine warme Eislimonade abkaufte. Nun saß er total unglücklich auf sechzig Bier- und Limo-Kisten und wusste nicht, wie er sie wieder los werden sollte.

Katja überredete ihn, sich noch einmal Geld zu pumpen und ein Pärchen Shar-Pei-Hunde zu kaufen. Mit der Züchtung dieser chinesischen Hunde sollte all das verlorene Geld wieder eingespielt werden. Schon nach fünf Monaten liefen fünf süße Welpen durch die Wohnung. Die Shar-Pei-Hündchen brauchen eine besondere Pflege. Ihre Augenlider müssen ständig abrasiert werden und sie dürfen nicht die Treppe runterlaufen, weil sie dann sofort umkippen: wegen ihres zu großen Kopfes und des zu kleinen Hinterns. Katja betreute sie Tag und Nacht, verkaufte jedoch keinen einzigen. Nachdem alle fünf zu riesengroßen Hunden herangewachsen waren, verlor Katja jegliches Interesse an ihnen. Sie teilte die Wohnung mit Eisengittern und Maschendraht auf: Einen Teil (einschließlich des Badezimmers) übernahmen die Hunde, auf der anderen Hälfte widmete sich Katja ihren Pflanzen, die sie sich inzwischen gekauft hatte. Sie schaffte das Unmögliche: Nach einem halben Jahr sah ihr Zimmer wie ein Urwald aus. Nur die dazugehörigen Singvögel konnten sich nicht einleben. Sie fielen einem überraschenden Shar-Pey-Angriff zum Opfer.

Um ihren heimischen Urwald neu zu beleben, widmete sich Katja dem Kinderkriegen. Sie musste lange dafür kämpfen. Einmal mit ihren Ärzten – einen verklagte sie sogar, weil er an ihrer Fähigkeit zum Schwangerwerden gezweifelt hatte. Zum anderen mit ihrem eigenen Mann, der sich jedoch schon gar nicht mehr in die Wohnung traute und seit über einem Jahr nicht auf dem Klo war. Katja überwand alle Hindernisse mit Bravour. Nun wachsen bereits zwei Babys in Katjas Urwald auf – zwei Mädchen: Deborah und Susann. Sollten sie es schaffen – jemals erwachsen zu werden – werden sie bestimmt über prächtige Lebensqualitäten verfügen. Tarzan und Jane würden sich vor Neid und Missgunst an der nächsten Liane aufhängen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen