Polens Präsident zeigt der Regierung die gelbe Karte

Per Veto stoppt Staatspräsident Kwasniewski die Steuerreform. Dabei beruft er sich auf Formfehler  ■   Aus Warschau Gabriele Lesser

Die Steuerzahler Polens werden auch im nächsten Jahr nicht mehr Zlotys als bisher im Portmonee haben. Präsident Aleksander Kwasniewski hat das große Reformpaket von Finanzminister Leszek Balcerowicz mit seinem Veto gestoppt. Überraschend kam die Entscheidung nicht, da bereits der Gesetzgebungsprozess von vielen Polen nur mit Kopfschütteln verfolgt worden war: 15 Monate Streit in der Mitte-rechts-Koalition, um dann – kurz vor zwölf gewissermaßen – ein riesiges Gesetzespaket im Eiltempo durchzupeitschen.

Die postkommunistische Opposition brachte ihre Verbesserungsvorschläge gleich waschkorbweise ins Parlament. Sie hatte verhindern wollen, dass das Gesetz noch Ende November veröffentlicht würde und damit tatsächlich am 1. Januar 2000 in Kraft treten könnte.

Die Steuerreform nämlich hätte das angeschlagene Image der Regierungsparteien aufpolieren können. Dies wollte die Opposition verhindern. Die Postkommunisten (SLD), die in den Umfragen derzeit besser denn je abschneiden, streben vorgezogene Neuwahlen an. Sie nutzen jede Gelegenheit, die Regierung als unfähig und inkompetent bloßstellen zu können.

Um den Wettlauf mit der Zeit doch noch zu gewinnen, setzten die Politiker der Regierungskoalition kurzerhand fest, dass über Verbesserungsanträge zum Steuergesetz direkt abgestimmt werde – ohne jede Diskussion. Mit ihrer Mehrheit schmetterten sie dann in einer Marathonsitzung sämtliche Änderungsvorschläge der Opposition ab.

Dies genau beanstandete der Präsident. Es gebe in der Verfassung die Institution des Minderheitenantrags, mit Hilfe dessen ein Abgeordneter, der im Ausschuss kein Gehör gefunden habe, seine Meinung noch einmal dem gesamten Abgeordnetenhaus vorstellen könne. Auch die parlamentarische Mehrheit aus dem Bündnis Wahlaktion Solidarität (AWS) und Freiheitsunion (UW) habe dieses Recht auf eine Minderheitenmeinung zu respektierem. „In Polen“, so der Präsident wörtlich, „darf kein Gesetz so entstehen wie dieses. Zu dieser kranken Praxis muss ich sagen: Nein!“

Doch Kwasniewski gefiel auch nicht, dass von den künftigen Steuerminderungen ausgerechnet die Armen nicht profitieren sollten. Der Mindeststeuersatz sollte nur um 1 Prozent sinken, und auch das erst in zwei Jahren. Der Höchststeuersatz hingegen sollte von 40 auf zunächst 36 und schließlich 28 Prozent sinken. Für viele Polen, so Kwasniewski, sei angesichts steigender Arbeitslosigkeit und einer ungewissen Konjunktur einer Steuerreform zugunsten der Reichen nicht nachvollziehbar. Polen brauche mehr „gesellschaftliche Solidarität“.

Noch am selben Abend erklärte Finanzminister Balcerowicz, er denke trotz einer früheren Drohung nicht an einen Rücktritt. Auch Präsident Kwasniewski hatte in der Begründung seines Vetos hervorgehoben, dass er die Mühe und Arbeit des Finanzministers schätze, der das so komplizierte Steuerrecht Polens vereinfachen wolle.

Mit dieser Begründung seines Vetos hat der Präsident eine der schwierigsten Situationen seiner bisherigen Amtszeit gemeistert. Denn einerseits hatte die Linke, der Kwasnieski nach wie vor nahe steht, das Veto geradezu kategorisch von ihm gefordert, andererseits hätte die Unterschrift unter das Steuergesetz die politische Situation im Lande stabilisiert und ein wichtiges Signal der Reformkontinuität ans Ausland gegeben. Jede seiner Entscheidungen musste notgedrungen falsch sein.

Ein Veto, das das „demokratische Gesetzgebungsverfahren“ in Polen sichern soll, dürfte im In- wie Ausland überzeugen. Den Regierungsparteien hingegen, die sich selbst die demokratische Tradition zugute halten und dabei oft übersehen, dass auch die Opposition in einem Rechtsstaat Gehör finden muss, dürfte nun eine neue Krise drohen.