Mein Jogurt lebt wirklich!

WHO warnt: Gefährliche Bakterien in Lebensmitteln werden durch veränderte Verbrauchergewohnheiten immer häufiger. EU-Kommission diskutiert zentrale Lebensmittelagentur  ■   Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Die weltweit meistverbreiteten Haustiere heißen Escherichia Coli oder Listeria Monocytogenes. Merken muss man sich aber vor allem den Namen des neuen Favoriten: Camphylobacter. Er wird nach Prognosen der Weltgesundheitsorganisation in den nächsten Jahren die guten alten Salmonella von Platz eins der Hitliste der Bakterien verdrängen, die schwere Krankheiten verursachen können und in Lebensmitteln zu finden sind.

Um 2.000 Prozent ist der Salmonellenbefall bei Lebensmitteln nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den letzten zwanzig Jahren angestiegen. Jeder dritte Bürger in den USA und Europa erkrankt mindestens einmal im Leben an einer Lebensmittelvergiftung, 15.000 Menschen sterben jährlich daran.

Nicht nur deswegen ist Lebensmittelsicherheit ein brandaktuelles Thema. Aufgerüttelt durch die jüngsten Dioxin- und Klärschlammskandale diskutieren Europarlamentarier und Verbraucherschützer in der Kommission über neue Wege in der Lebensmittelsicherheit. Eine Europäische Lebensmittelagentur hat Romano Prodi gleich in seiner Antrittsrede vor dem EU-Parlament in Aussicht gestellt – ein Versprechen, das er womöglich schon bedauert, wie die EU-SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Berendt vermutet.

Der Teufel liegt im Detail: Eine zentrale Lebensmittelagentur nach US-amerikanischem Vorbild wollen weder die Mitgliedsstaaten noch europäische Verbraucherschützer. „Schicken Sie doch mal einen finnischen oder deutschen EU-Beamten nach Conemara, aufs flache Land – der bekommt dort nichts raus“, warnte der Ire Jim Murray vom Europäischen Verbraucherverband bei der Anhörung vor dem EU-Parlament. Die nationalen Lebensmittelagenturen müssten deshalb erhalten bleiben, ihre Qualitätsstandards aber angleichen und den Informationsaustausch mit Brüssel verbessern. Wie wichtig diese Forderungen sind, zeigt das Beispiel Belgien, als die Bürger während der Dioxinkrise erst aus der Zeitung erfuhren, welcher neue Skandal gerade anstand.

Jim Murray sieht mehrere Gründe für die schlechte Lebensmittelqualität: Der gemeinsame Markt führe dazu, dass Essen über weitere Strecken transportiert und mit mehr Konservierungsstoffen behandelt werde. Industrialisierte Landwirtschaft und Massentierhaltung machten mehr Schädlingsbekämpfungsmittel und Antibiotika notwendig. Auch veränderte Verbrauchergewohnheiten trügen zu den Problemen bei: Vorbehandelte Fertigprodukte haben den Markt erobert.

Die Studie der WHO lässt den Schluss zu, dass unsere Lebensmittel weniger hygienisch sind, als sie es auf einem mittelalterlichen Markt gewesen sein mögen. Der dänische WHO-Lebensmittelexperte Jorgen Schlundt warnt die Politiker besonders vor der alltäglichen Bedrohung durch Bakterien. Einleuchtende Erklärungen für die alarmierenden Zahlen hat die WHO allerdings nicht anzubieten.

Gegen den indirekten Vorwurf, die Landwirte seien für bakterielle Verseuchung der Lebensmittel verantwortlich, wehrt sich der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im EU-Parlament, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. „Untersuchungen der WHO belegen, dass Lebensmittelvergiftungen hauptsächlich entstehen, weil haltbar gemachte Produkte geöffnet im Kühlschrank zu lange aufbewahrt werden.“

Während der EU-Verbraucherverband und die EU-Parlamentarier im Ausschuss für Umwelt und Volksgesundheit darauf dringen, dass Lebensmittelkontrolle auf nationaler und EU-Ebene künftig streng von den Bereichen Landwirtschaft und Industrie getrennt wird, hält Graefe zu Baringdorf es für sinnvoller, mögliche Infektionsherde im Dialog mit den Landwirten zu beseitigen. Jorgen Schlundt hat für die beunruhigten Verbraucher nur einen lakonischen Rat: Länger kochen, nach Art deutscher Hausmannskost.

Daniela Weingärtner