■  Schlug Kohl mit Geld den Geißler-Putsch nieder? Späte Rache tut jedenfalls gut. Aber für Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ist das nur eine angenehme Nebenwirkung seiner Aussagen. Dem „einsamen Parteigewissen“ geht es um die Erneuerung der CDU
: Warum Kohl gegeißlert wird

Heiner Geißler hat gestern noch mal nachgelegt. Ja, es habe zu seiner Zeit als Generalsekretär schwarze Konten bei der CDU gegeben. Und: Kohl habe von allen großen Finanzvorgängen gewusst. Mit dieser Aussage wird Kohls alter Widersacher Heiner Geißler zur Schlüsselfigur im Untersuchungsausschuss zur Spendenaffäre. Seine Aussage wird die CDU nachhaltig erschüttern, denn niemand kennt das „System Kohl“ besser als Geißler, der jahrelang dagegen ankämpfte.

Kohls Weggefährte kann im Detail beschreiben, wie Einahmen und Ausgaben an der CDU-Bundesgeschäftsstelle vorbeiflossen und wie sich der Große Vorsitzende je nach Bedarf Stillschweigen oder Unterstützung von Parteifreunden erkaufte. Geißler lehnte den autokratischen Führungsstil des Alten immer ab und versuchte als Generalsekretär eine Gegenmacht aufzubauen. Als er Kohl zu mächtig wurde, setzte der Patriarch alle Mittel ein, um sich die Loyalität der Landesverbände und Parteifreunde zu sichern, die mit Geißler sympatisierten.

Jetzt hat Geißler endlich Gelegenheit zur späten Rache. Doch das ist nicht sein einziges Motiv. Das zwielichtige „System Kohl“ ist ihm zutiefst zuwider. Er hofft darauf, dass sich die Union erneuert. Dazu müssten die Machenschaften von Helmut Kohl gnadenlos offen gelegt werden. Geißler hat damit angefangen und hofft, dass andere folgen werden. Heiner Geißler, von 1977 bis 1989 CDU-Generalsekretär, von 1982 bis 1985 Familienminister im Kabinett Kohl und heute eines von 40 CDU-Vorstandsmitgliedern hat längst mit großen Teilen der Union gebrochen. Vor wenigen Jahren galt er noch als „Querdenker“, heute nennen ihn viele „das einsame Parteigewissen“. Das letzte Mal machte er im Bundestagswahlkampf des vergangenen Jahres von sich reden. Er sagte als einziger Unionskandidat offen, dass die CDU nur mit Wolfgang Schäuble an Stelle von Kohl eine Chance gehabt hätte.

Spätestens seit dem Erscheinen seines Buches „Das nicht gehaltene Versprechen“ ist klar, dass die CDU und Geißler nicht mehr viel gemeinsam haben. In seiner Streitschrift geht er mit der Sozial-, Frauen-, Ausländer- und Asylpolitik seiner Partei hart ins Gericht.

Nicht als Familienminister, sondern als CDU-Generalsekretär hat sich Heiner Geißler einen Ruf als rechter Polemiker und Wadenbeißer erworben. In den schauerlichsten Farben malte er im Wahlkampf 1986 das „rot-grüne Chaos“ an die Wand. Immerhin sagt Geißler heute über die Grünen, sie wären, wenn sie „die Linie von Joschka Fischer“ weitermachten, sogar als Koalitionspartner für die CDU „attraktiv“.

Helmut Kohl redet schon lange nicht mehr mit Heiner Geißler. Die beiden verbindet seit über einem Jahrzehnt eine tiefe Feindschaft. 1977, als Kohl den damaligen Mainzer Sozialminister zum Generalsekretär seiner Partei kürte, beschrieben die Zeitungen Geißler noch als „Kampfgefährten“, „treuen Freund“ und „Wegbegleiter“ Helmut Kohls. Tatsächlich kennen sich die beiden gleichaltrigen Politiker seit dem Studium. Ihre Charaktere sind völlig gegensätzlich. Kohl ist jovial und unentschlossen. Nur wenn er sich in die Ecke gedrängt oder angegriffen fühlt, wird er aggressiv – zum Beispiel bei seinem peinlichen Auftritt während der Parlamentsdebatte in der vergangenen Woche. Geißler ist dagegen offen, bissig, und vertritt seine Meinung kämpferisch.

Trotzdem kamen die beiden jahrelang gut miteinander aus. Geißler fühlte sich Kohl intellektuell immer überlegen, was der eines Tages nicht mehr ertragen konnte. Als ihm der Generalsekretär zu stark wurde, versuchte Kohl ihn 1982 ins Familienministerium abzuschieben. Doch Geißler bestand darauf, das Amt des Generalsekretärs neben dem Ministeramt weiterzuführen. Drei Jahre später legte er sein Ministeramt nieder und blieb Generalsekretär.

1988 wurde der Streit zwischen den beiden Kampfhähnen öffentlich. Es ging aber nicht wirklich um politische Inhalte, sondern darum, wer in der Partei das Sagen hat. Geißler brachte den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth als Gegenkandidaten zu Helmut Kohl für das Amt des Parteivorsitzenden ins Gespräch. Emsig versuchte er, Mehrheiten für den Sturz Helmut Kohls zusammenzubringen. Natürlich erfuhr der Kanzler von den Umtrieben. Er reagierte sehr schnell und teilte Geißler mit, er werde ihn auf dem Parteitag als Generalsekretär entlassen.

Geißlers Aufstand gegen Kohl zerbröselte, weil er keine mutigen Mitstreiter fand und Lothar Späth sich nicht dazu durchringen konnte, tatsächlich gegen den Kanzler zu kandidieren. Der misslungene Geißler-Putsch erscheint heute in neuem Licht. Die Hinweise verdichten sich, dass Kohl damals in die schwarze Kasse griff und den Geißler-Sympathisanten in den den Landesverbänden den Schneid abkaufte.

Tina Stadlmayer, Berlin