Die einzige Gemeinsamkeit ist der Feind

■ In Seattle werden 50.000 Demonstranten gegen die WTO erwartet

Das hatte Bill Clinton, Gastgeber des WTO-Gipfels in Seattle, wohl kaum gemeint, als er bei der letzten Ministertagung 1998 in Genf „mehr Transparenz der Welthandelsorganisation“ sowie „verstärkte Beteiligungsmöglichkeiten“ für Nichtregierungsorganisationen (NGO) anmahnte: 50.000 Menschen werden zu einer Großdemonstration erwartet, auf der Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Bauern, Menschenrechtsgruppen und Verbraucherverbände am heutigen ersten Tag des WTO-Gipfels ihre Kritik an weiteren Handelsliberalisierungen zu Gehör bringen wollen.

40.000 US-Dollar haben die NGO allein für die WTO-kritische Öffentlichkeitskampagne im Vorfeld der Ministertagung ausgegeben. „Wir wollten die große Ignoranz gegenüber der WTO durchbrechen, durch die sie überhaupt so mächtig werden konnte“, erklärt Jim Pucket, einer der Initiatoren der Kampagne. Zumindest dieses Ziel haben die NGO erreicht. Die Motive und Ziele der rund 400 in Seattle vertretenen NGO sind unterschiedlich, in einigen Fällen sogar gegensätzlich. Sie reichen von der Forderung nach „mehr Transparenz des Geheimclubs WTO“ über Kritik an den seit WTO-Gründung vereinbarten Handelsliberalisierungen und die Forderung nach ihrer Korrektur bis hin zum Aufruf, „die Weltzentrale des Kapitalismus zu zerschlagen“. Menschenrechtsaktivisten fordern – aus grundsätzlicher Überzeugung – gemeinsam mit oft eher protektionistisch motivierten Gewerkschaftern die Verankerung verbindlicher Sozialstandards in den im WTO-Kontext vereinbarten Verträgen zur Handelsliberalisierung.

Am kontroversesten wird unter den NGO – ähnlich wie bei der Ministerkonferenz – die Agrarfrage diskutiert. Bauern aus dem Norden wehren sich vehement gegen den Abbau von Produktions- und Exportsubventionen, die von anderen NGO wiederum als Verzerrung des Weltmarktes zuungunsten der Länder des Südens gebrandmarkt werden. So ist die breite NGO-Koalition in Seattle nicht viel mehr als ein taktisches Bündnis.

Andreas Zumach, Seattle