Künstlerisch den Sumpf säubern

Was kann eine kleine Ost-Haltestelle dafür, daß die neue Hauptstadt unübersichtlich groß und ihr Bauvorhaben ein rechter Sumpf geworden ist? Mit solchen Gedanken im Kopf werden zuletzt die BerlinerInnen stirnrunzelnd und achselzuckend an den Baugerippen rund um die Friedrichstraße und den Potsdamer Platz vorbeigeschlichen sein. Daß der gesellschaftliche Umbau mit der soliden Blockbebauung in Mitte einhergeht – mittlerweile merken selbst diejenigen, die sich im Sommer noch zwischen Imbißbuden und Reichstagsverhüllung freudig zuprosteten, daß was im Busche ist.

Die Kunst hilft da manchmal noch ein wenig nach beim Grübeln. Im Mai 1993 hatte das Künstler-Duo Andreas Walther und Andreas Wegner eine stillgelegte Bushaltestelle an der Leipziger Straße saniert. Das Häuschen wurde fein geweißt, die Sitzbank rotbraun angestrichen; dann stellte man einen Koffer hinein und gab dem ganzen einen Namen: „Haltestelle für Bonn“. Schließlich ließ ein Bauunternehmen das gesamte Gelände einzäunen und umbuddeln. Eine eher sisyphale Künstlerarbeit.

Doch das war nur der erste Teil der kleinen Großstadtinszenierung: Walther und Wegner kamen wieder, mit einer Plakataktion (Foto), einer der zitty beigelegten Broschüre und einem 7,50m mal 15m großen Transparent an der Brandmauer des Postmuseums Leipziger Straße, das nochmal den Titel „Haltestelle für Bonn“ wiederholt – nun unter dem Copyright der Künstler. Was zunächst wie ein Schelmenstreich in beuysscher Tradition des Ausfegens zum 1. Mai aussah, entpuppt sich jetzt als Kommentar zur konkreten Berliner Bausituation all over the place. Und die still dahingammelnde Haltestelle steht als Metapher für das betretene Schweigen der BerlinerInnen ob der neuen Prächtigkeit ihrer so liebgewonnenen, muffigen Mauerstadt. hf / Foto: Jens Ziehe