Durchs Dröhnland: Kleine Schlenker
■ Die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Toxic Reasons zu hören ist wie eine Zeitreise zurück zu den Anfängen des englischen Punkrock. Dabei stammt diese Band aus Dayton, Ohio. Doch mit der Garagen-Kultur und dem Glam-Rock des Ami-Punkrock hatten Toxic Reasons nie viel am Irokesen, statt dessen klangen sie schon immer englischer als die Engländer selbst.
Das beinhaltet den obligatorischen Ausflug in den Ska zur Auflockerung und die dezidiert politischen Texte. Das einzig Moderne an ihrer neuen Platte „No Peace In Our Time“ ist ein Data Track, über den man sich über die nun schon 16jährige Bandgeschichte informieren, Videos schauen und an einem Karaoke-Wettbewerb teilnehmen kann – auch Punk ist im multimedialen Zeitalter angekommen.
Heute, mit K.G.B., um 21 Uhr im Thomas-Weissbecker-Haus, Wilhelmstraße 9, Kreuzberg
Noch mehr Legendenstoff haben die Dickies zu bieten. Eine Band, die schon 1978 „Paranoid“ von Black Sabbath coverte, kann so doof nicht sein, auch wenn sie einen ihrer üblichen hoppelnden Punkrocker daraus machten. Ähnliches widerfuhr sogar „Eve of Destruction“. Hierzulande verdanken die Dickies ihre Popularität einem prominenten Fan.
Die tote Hose Campino ließ jahrelang keine Gelegenheit aus, die großen Verdienste der „West Coast Pioniere“ (Info) zu preisen. Ihm allein gebührt die Ehre, einen völlig in der Versenkung verschwundenen Haufen Rentner, der sich allerdings überraschend gut gehalten hatte, doch noch ein Altenteil gesichert zu haben. Auch hier ist die Zeitreise komplett und die Dickies plötzlich unverzichtbar in der Punkgeschichte.
Heute, um 20.30 Uhr im marquee, Hauptstraße 30, Schöneberg
Dies ist unübersehbar die Woche des Punkrock, weil aber auch der Metaller gern Abwechslung hat, seien hier Decubitus erwähnt. Vier teilweise sehr junge Herrschaften aus dem Erzgebirge, die das Todesblei schmieden, obwohl es längst schon etwas kalt geworden ist. Ausführlich walzen Gitarre und Baß, schwer klopft das Schlagzeug, und der Sänger schmiert Teer auf sein Frühstücksbrötchen. Die Texte setzen sich „mit kritischen Kirchenthemen auseinander“, verraten sie. Übungsraum im Gemeindezentrum?
Heute, um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 7, Treptow
Auch in Darmstadt hat man schon Farbfernsehen. Und deshalb nennt man seine Kapelle halt Ska Trek und spielt ... jetzt kommt's ... Überraschung ... Ska. Überzeugend dabei vor allem die perfekte Kopie früher Ska- Tage. Die dünnste aller dünnen Orgeln, zurückhaltende Bläser und schüchterne Gitarren machen aus Ska Trek die Off-Beat- Version der aktuellen Easy-Listening-Welle. Was nicht bedeutet, daß man dazu nicht gut tanzen könnte.
Morgen, mit den Trojans (GB), um 21 Uhr im Trash, Oranienstraße 40, Kreuzberg
Wer weniger mit dem historischen Ansatz von Punkrock anfangen kann, aber nichts gegen eine moderne Version hat, darf sich auf Pennywise freuen. Die gibt es zwar erst seit wenigen Jahren, aber ihre Heimatstadt Hermosa Beach in Kalifornien teilen sie mit Black Flag und den Hardcore-Legenden Descendents, aus denen wiederum z. B. All hervorgegangen sind. Pennywise veröffentlichen auf dem Label von Bad Religion, kommen aus Südkalifornien und sind überzeugte Surfer und Skater.
Das hört man dann auch: Cholerische Rhythmik und darüber wundervolle Pop-Melodien. Mit dem Rezept verkaufen auch Pennywise pro Platte mehr als 200.000 Stück. Nicht erst Offspring haben bewiesen, daß Punkrock ein nicht zu kleines Hoch verzeichnet. Auch Pennywise haben den Dreh gefunden, im letzten Moment aus der Stumpfheitsdiktatur auszubrechen und den rechten kleinen Schlenker einzubauen. Hier wird Punkrock zwar nicht gerade neu erfunden, aber geschickt die attraktivsten Teile auf Hochglanz poliert und wiederverwertet.
Am 18.9., mit My Favourite Comic und Millencolin, um 21 Uhr im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg
Ostwestfalen ist nicht Hamburg, soviel ist schon mal sicher. Und daß man in Bielefeld nicht an der Umsetzung eines genuin deutschen Ansatzes arbeitet, auch. Dort sucht man eher nach den Spuren, die amerikanische Musik in unseren Seelen hinterlassen hat. So auch der Herr Schneider und der Herr Uhe als Duo unter dem Namen Locust Fudge, wenn sie nicht gerade in allerlei verschiedenen Bands wie Sharon Stonded, Great Tuna, Hip Young Things und vielen mehr zugange sind.
Zentrales Thema ist großes Songwritertum, so eine Art Abdruck im Gehirn, den Leute wie Lou Reed hinterlassen haben. Was dazu führt, daß die Songs von Locust Fudge alle irgendwie so neu und gleichzeitig so vertraut klingen, weil den Abdruck auch alle Hörer haben. Da braucht es dann nicht einmal mehr eine verloren kreischende Mundharmonika, um Neil Young zu erinnern. Uhe und Schneider tragen Anzüge, spielen vorsichtig Gitarre, singen mit kalten Stimmen, als wenn sie das alles nichts anginge, und sind überhaupt das Coolste, was jemals aus Ostwestfalen kam – für jetzt und immerdar.
Am 19.9., um 20.30 auf der Insel
Aus Leipzig kommen Grain of Sand mit ihrem bemüht komplizierten Crossover, der sich an allem bedient, was gut und verfügbar ist: Von langsam rollenden Metal-Riffs bis zu kloppenden Hardcore-Einlagen. Eine obskure Klangfarbe liefert ein Synthesizer, der mal piepst und mal New-Age-Gedängel in die raren Pausen streut.
Am 21.9., um 22 Uhr, im Duncker, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg, Eintritt frei! Thomas Winkler
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