: Telefonsex vor der Zeit
Die Aktivitäten englischsprachiger Theaterleute in Berlin sind enorm, ihr Publikum besteht bis zu zwei Dritteln aus Deutschen. Ein Überblick ■ Von Miriam Hoffmeyer
Nur auf einem einzigen Kontinent zu wohnen ist altmodisch.“ Rik Maverik, mit 40 Jahren der Nestor der englischsprachigen Theaterszene in Berlin, lebt modern – die eine Hälfte des Jahres in Berlin, die andere in New York und San Francisco. Mit Deutschen spricht er „Denglish“, ein Mischmasch aus Deutsch und Englisch, das die Performerin Gayle Tufts schon fast zu einer Kunstform erhoben hat.
Bei den Berlin Playactors, die Maverik vor zehn Jahren gegründet hat, haben Schauspieler aus USA, Südafrika, Australien, Großbritannien und natürlich Deutschland mitgespielt. „In allen großen Städten gibt es viele Künstler, die keine natives sind, und gerade in Berlin hat die Mischung der Kulturen Tradition“, sagt Maverik. Er hält Kontakt zu Dutzenden von englischsprachigen Solo- Performern, Storytellers, Musikern und Tänzern, die er zuletzt zu der abwechslungs- und pannenreichen Show „More Black Pearls“ zusammentrommelte.
Berlin Playactors: ein Theater fürs Weltliche
Rik trat schon als atemlos drauflos schwadronierender stand-up-comedian auf, als diese Vokabel hierzulande noch so gut wie unbekannt war. Auch als Regisseur achtet er vor allem auf Komik. Als die Playactors Sartres infernalisches Seelendrama „No Exit“ aufführten, schrieb er ins Programmheft: „Three people stuck in hell is funnier than shit“.
Den Anstoß zur Gründung einer eigenen Theatergruppe gab ihm der Besuch einer Schiller- Theater-Inszenierung von „Warten auf Godot“. „Das hatte nur mit Kunst zu tun, nichts mit Welt, es war todlangweilig. Das wollten wir anders machen.“
Temporeich und witzig, aber keineswegs unkonventionell spielten die Playactors bislang vor allem moderne Klassiker wie Beckett, Sartre, Shaw und Edward Albee. Zwischendurch gab es immer auch zeitgenössische Stücke zu sehen, die in Zukunft wichtiger werden sollen – als nächste Premiere ist Jean Schenkars „Fulfilling Koch's Postulate“ geplant. „Schließlich“, sagt Maverik, „fragen mich viele Leute: Why are you playing the same things as the Staatstheater?
Do you think you are better?!“
Out to Lunch: Sitcoms mit Zusatzgewicht
Simon Newby-Koschwitz, ein ehemaliger Playactor, vermied die Vernichtungskonkurrenz von Anfang an. 1989 gründete er zusammen mit der Autorin Joy Cutler die Gruppe Out to Lunch. Schon die erste Produktion führte die Berliner auf Neuland: Sitcoms, wie Cutler sie schreibt, gab es zu der Zeit kaum. Der Cultural lag zwischen den USA und Deutschland kann zum Problem werden, erklärt Newby-Koschwitz: „In einem Stück drehte sich alles um Telefonsex, aber damals wurde das in Deutschland noch gar nicht angeboten.“ Simon Newby-Koschwitz ist Brite, bevorzugt aber Komödien aus den USA. „Der amerikanische Humor ist rasanter. Für mich ist der Rhythmus sehr wichtig, der aus dem Gelächter der Zuschauer entsteht.“
Unter den schnellen Gags der Out-to-Lunch-Produktionen liegt jedoch fast immer auch ein ernstes Thema verborgen. Die groteske Psycho-Klamotte „Baby With the Bathwater“ von Christopher Durang etwa dreht sich um uralte Probleme wie Erziehung und Erwachsenwerden. Das Dilemma, die vergnüglich-seichten Charaktere der Sitcom glaubhaft mit ernsten Themen zu verbinden, beschäftigt die Gruppe in jeder Inszenierung.
Rik Maverik arbeitet mit Verfremdung, wenn er Videos neben der Bühne ablaufen läßt oder das Publikum höchstpersönlich aus dem Foyer in den Zuschauerraum geleitet. Simon Newby-Koschwitz dagegen setzt auf möglichst perfekte Illusion: „Das Theater lebt davon, daß der Zuschauer alles glaubt, was man ihm erzählt.“ Das ist auch der Grund, warum in „Out to Lunch“ ausschließlich Schauspieler mitwirken, deren Muttersprache Englisch ist – auch ein noch so winziger Akzent stört die Illusion.
Berliner Grundtheater: Große Rollen für Laien
Im Berliner Grundtheater sind außer dem britischen Regisseur Tony Kingston und seiner Frau June fast alle Teilnehmer Deutsche. Während die Fluktuation bei den Playactors und bei Out to Lunch groß ist – schon weil viele englischsprachige Schauspieler nur für eine begrenzte Zeit in Berlin leben –, hat das Grundtheater seit seiner Gründung 1991 ein festes Ensemble. Je nach Bedarf werden weitere Mitspieler angeworben, in der Regel Studenten von TU und FU.
„Für uns ist es besonders wichtig, daß wir uns als Gruppe fühlen“, sagt Tony Kingston. „Eine starke Gruppe kann eine gute Vorstellung machen, auch wenn die Leute nicht professionell sind.“ Manchmal geht dieses Konzept auf, andere Aufführungen wiederum sind laienhaft bis zur Schmerzgrenze.
Das Grundtheater spielt ausschließlich britische Stücke, zum Beispiel den auf Studentenbühnen beliebten Oscar Wilde. Es schreckt aber auch nicht davor zurück, „King Lear“ mit zehn Leuten auf die Bühne zu hieven. Die Mitglieder der Gruppe wollen eben berühmte Rollen spielen – und das Publikum will sie sehen. „Wenn wir einen Shakespeare machen, können wir damit ein modernes Stück finanzieren“, erklärt Kingston.
Die schmalen Überschüsse aus den Klassiker-Produktionen decken die Verluste, die etwa die jüngste Inszenierung eines Stücks des schottischen Boulevard-Autors C. P. Taylor über Nazi-Verbrechen verursacht hat. Als kuriose Ausgrabung ist „Good“ bemerkenswert, die Inszenierung allerdings schmierte rettungslos ab, weil zu den Amateuren auf der Bühne auch noch ein Laien-Orchester kam.
Aber das Berliner Grundtheater hat ebenso wie die beiden anderen Gruppen ein treues Stammpublikum, das sich keineswegs nur aus der anglophonen community rekrutiert. 50 bis 60 Prozent der Zuschauer seien Deutsche, schätzen die drei Regisseure. Anglistikstudenten, Schüler aus Englisch- Leistungskursen und VHS-Teilnehmer kommen zu den Aufführungen, aber auch viele Berliner, die einfach nur ein Faible für die angelsächsische Kultur haben.
„Ich glaube, je enger die europäischen Staaten zusammenwachsen, desto mehr Zukunft gibt es hier für englisches Theater“, glaubt Tony Kingston. Auch in Frankfurt, Köln, München und Hamburg existieren seit Jahren anglophone Theatergruppen. Die Kölner Gruppe Confederacy of Fools ist wegen der zugkräftigen Komödien ihres Leiters Tony Dunham in ganz Deutschland bekannt und häufig auf Gastspielreisen – augenblicklich im Stükke- Theater (vgl. taz vom 30.8.).
Eine Sonderförderung gibt es nicht
Die bescheideneren Berliner Produktionen bleiben dagegen zu Hause. Seit drei Jahren ist das winzige Kreuzberger Hinterhof-Theater Friends of the Italian Opera die Heimstatt der englischsprachigen Ensembles und Performer. Out to Lunch trat als eine der ersten Gruppen in dem 1990 eröffneten Theater auf, Solo-Performer wie Syd Atlas, Jon Flynn, Josephine Larsen, Lindy Annis und Bridge Markland folgten.
Die Spielstättenförderung vom Berliner Senat ist der einzige Zuschuß, der der englischsprachigen Theaterszene zumindest indirekt zugute kommt. Denn British Council und Amerika-Haus fördern in erster Linie Gastspiele und Austauschprogramme, sie machen höchstens ein bißchen Werbung für die Berliner Gruppen. „Dinge, die hier sowieso passieren, finden wir zwar gut, können sie aber nicht finanziell unterstützen“, sagt Angelika Ludwig vom British Council. Und so sind die hiesigen Gruppen jedes Mal wieder heilfroh, wenn nach einer Produktion wenigstens keine Schulden zurückbleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen