Die Sabbelschachtel

■ Talkradio ist uramerikanisch und demokratisch. Vor allem aber kotzt sich hier das dumpfe Volksempfinden aus. Ab Januar soll es "Newstalk" in Berlin geben

Man kann nicht gerade behaupten, daß Peter Laufer Illusionen über Talkradio hegt. „Talkradio“, meint er, „ist das letzte Beispiel für die Degeneration der amerikanischen Populärkultur“, und nennt das Lieblingsmedium vieler Amerikaner „pornographisch“ und „pervers“.

Laufer muß es wissen. Fast dreißig Jahre lang hat er selbst als Talk- Moderator gearbeitet, ehe er in Washington als Programmchef einer einschlägigen Station gefeuert wurde, weil den Bossen seine Themen nicht paßten. „We give a shit about Bosnia“, hatten diese ihm zu verstehen gegeben, man wolle etwas über Sex-and-crime-Skandale vom Schlage des Lorena-Bobbitt- Dramas hören. Das Buch, das Laufer anschließend schrieb, liest sich streckenweise wie eine Totalabrechnung mit Amerikas populärstem und einflußreichstem Hörmedium.

Die Abrechnung hat Laufer diesseits des Atlantik einen Job als Talkradio-Missionar eingebracht. Seit Januar sitzt er jede Woche in den Studios des Berliner Dudelradios RTL, reibt sich den Jet-lag aus den Augen und bastelt zwischen Kabelbergen und leeren Kartons das Programm für einen Sender, der unter dem Namen „Newstalk“ Anfang nächsten Jahres über die Hauptstadt kommen will – Deutschlands erstes Talkradio.

„Gastgeber“ + Telefon = Billigradio

Dabei kümmert Laufer sich weniger um konzeptionelle Fragen, denn das Konzept hält er für 1:1 übertragbar. Damit der Sender steht, muß der Programmchef Köpfe finden, die den hierzulande noch wenig bekannten Beruf des Talk-Hosts, so nennen sich die Sabbelmeister in Amerika fein, ausüben können. Hat man so einen „Gastgeber“, braucht es bloß noch ein Telefon, und sobald es klingelt, ist das Talkradio fertig. Die Zuhörer, darauf baut jede Talk-Station, brennen darauf, zu Mitrednern zu werden und den Stationen so die Programminhalte zu liefern. 24 Stunden lang. Kein Takt Musik, nur die Werbeeinblendungen unterbrechen den Redefluß.

Auf den ersten Blick ein verlockendes Konzept. Ein „Mitmach- Radio“, bei dem jedem Zuhörer der gleiche ungehinderte Zugang zu den Ätherwellen möglich ist, wo die Kommunikationswege in beide Richtungen offen sind und die Meinungen unzensiert aufeinanderprallen können – das müßte so recht im Sinne der alten Mediendemokratisierer von Brecht bis Enzensberger sein.

„Haßradios“ – ein politischer Faktor

Doch die Erfahrungen in den USA zeigen anderes: Dort ist das Talkradio zwar in den letzten zehn Jahren zu einem zentralen politischen Faktor geworden – doch weniger als Sprachrohr der Sprachlosen denn als Agitationsforum einer selbsternannten schweigenden Mehrheit. Zahlreiche Stationen leben davon, daß sich Moderatoren und Anrufer gegenseitig zu Ressentiments anstacheln, um dumpfeste Vorurteile als Stimme des Volkes tönen zu lassen. Natürlich sind solche „Haßradios“ für exakt diesen Zweck in eine millimetergenau ausgemessene Marktlücke hineinkalkuliert.

Natürlich gibt es auch harmlose Talkradios, doch funktionieren die oftmals nur als Stimme der Einsamen und der Besserwisser. Radiodemokratie? Fehlanzeige. Dem schönen Traum vom Talkradio als „part of the community“, den Laufer zur Leitidee seines Senders machen will, diesem Traum entsprechen die wenigsten Stationen. Ein Grund: Nur ein bis drei Prozent der Hörer sind bereit, tatsächlich „interaktiv“ zu werden.

Viel mehr Beteiligung erwartet Laufer auch in Deutschland nicht. Dennoch sieht er seine chatbox (Sabbelschachtel) am liebsten mitten in der Gesellschaft plaziert. „Die Deutschen möchten immer reden“, hat Peter Laufer festgestellt, „zum Beispiel in der Kneipe.“ Ergo: „Wir müssen wie ein Stammtisch sein.“ Da wird es „hin und hergehen“ kündigt RTL- Deutschland-Chef Bernd zur Mühlen an, „zwischen seriös und seicht“. Ob Bosnien, ob Bobbitt, Hauptsache, es wird geredet, das scheint das Prinzip zu sein. Alles kann ein Thema sein, bestätigt Peter Laufer, aber „immer ein ,human drama‘“.

Den ersten Teil seines Namens verdankt „Newstalk“ der Tatsache, daß man sich mit einem Informationsprogramm bei der Medienanstalt Berlin-Brandenburg gute Chancen zur Lizenzierung ausrechnen konnte. Doch nachdem der Versuch eines privaten Nachrichtensenders vor zwei Jahren gescheitert war, suchten die Bewerber nun nach einem spezifischen Privatradiozugang zur Ware Information.

„Die letzte Gattung der Öffentlich-Rechtlichen“ will Bernd zur Mühlen mit „Newstalk“ nun privatradiogemäß besetzen. Nachdem seinesgleichen Jahre an der Minimierung der Wortanteile gearbeitet hat, spricht er mit eigenartiger Faszination vom reinen Wortprogramm. In ein paar Jahren könne das Talkradio „wichtiger als viele der Tageszeitungen in Berlin“ sein. Dabei dürfte er, was den Umgang mit Information betrifft, wohl zuerst an die großen Boulevardblätter Bild, BZ (Springer) und Kurier (Gruner+Jahr) denken. „Mit einem Zeitungshaus“, sagt zur Mühlen, verhandele er noch über eine 20-Prozent- Beteiligung an „Newstalk“, doch die beiden oben genannten dementieren. Bislang gehören außer RTL (40 Prozent) der Hamburger Medienunternehmer Frank Otto sowie „Europe“ – RTL-Radios französischer Partner – (beide jeweils 20 Prozent) zum Kreis der Gesellschafter.

Zu gern würden Laufer und zur Mühlen ihr Talkradio über die „Bereicherung im Werbegeschäft“ hinaus auch zu einem Kleister für die auseinanderfallende Gesellschaft rühren. „Es gibt immer mehr Singles, immer mehr Vereinsamung“, stellt Peter Laufer fest. „Das Radio soll ein Freund sein“, wünscht er sich da. „Es sind intime Gespräche“, beschreibt Laufer das Paradoxon Talkradio bündig, „aber es hören viele zu.“

Das therapeutische Potential des Unterhaltungsmediums Talkradiokönnte etwa so klingen wie eines der Gespräche bei Bettina Rust, die in premiere vor einiger Zeit das Talkradio-Prinzip schon einmal im Fernsehen ausprobieren durfte. Als dort ein alleinstehender Mann anrief und wortreich seine Einsamkeit beklagte, stellte die Moderatorin fest: „Die Leute sprechen nicht mit dir.“ Dann warf sie ihn, wie zur Bestätigung ihrer Diagnose, ruck, zuck! aus der Leitung. Lutz Meier