Turmbau in Schwaben

Zwei Kleinstädte liegen sechzig Kilometer und doch Welten auseinander: Lauingen freut sich über die neue Moschee, die Türken in Bobingen dürfen kein Minarett bauen  ■ Von Thorsten Schmitz

Ein gefülltes gefühlsechtes Kondom, Marke „London“, auf dem Rathausplatz von Bobingen hat ungeahnte Folgen. Das achtlos entsorgte Präservativ zeugt von der Fragilität der deutsch-türkischen Freundschaft. Mit spitzen Fingern stopft der Straßenfeger das Corpus delicti in den Müllsack, noch rechtzeitig. In einer halben Stunde strömen die Menschen über den Platz ins Rathaus. Es ist nicht das erste gebrauchte Kondom, das der Straßenfeger an so prominenter Stelle vorfindet. Warum, das weiß er auch: „Die türkischen Jungs schmeißen die Dinger hierhin. Die wollen uns provozieren.“ Ein Kondom als Rache für ein noch nicht gebautes Minarett? „Meine Frau“, sagt der Mann, „glaubt das auch.“

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Kruzifixe prägen das Stadtbild von Lauingen und das vierfarbige Parkleitsystem hat sich bewährt. Die Leute laufen nun eher zum Einkaufen. Gegen die Jagdflieger aber, die den Himmel über Lauingen in unschöner Regelmäßigkeit okkupieren, kann selbst der aktivste Bürgermeister nicht intervenieren. „An diesen Krach haben wir uns gewöhnt“, sagt Gerhard Winkler. Mit der Gewöhnung ist das in Lauingen so eine Sache: Sie vollzieht sich kaum merklich und, für Bobinger Verhältnisse, rasant.

Vor zwei Jahren sprach der Chef der Lauinger Muslim-Gemeinde beim Bürgermeister vor. Schüchtern erzählte Necati Aytan von der Sehnsucht seiner 600 Landsleute nach einer echten Moschee. Gebetet hatten die schwäbischen Türken bis dahin in improvisierten Schuppen. Aytan zeigte dem Bürgermeister einen Entwurf – der Ähnlichkeit hatte mit einer Kaserne: „Wir wollten ja nicht auffallen.“ Mit der Gewöhnung ist das so eine Sache, weshalb Bürgermeister Barfuß (51) Aytan mit den Worten wegschickte: „Um Gottes willen, das soll eure Moschee werden? Entweder eine richtige, die auch so ausschaut, oder gar nix!“

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Am Tag der Arbeit, nächstes Jahr, geht Bobingens Bürgermeister Hartmut Gärtner (58) in Rente. 24 Jahre hat der evangelische Sozialdemokrat dann die Geschicke und die Geschichte Bobingens geprägt. Doch auch nach dem 1. Mai 1996 wird niemand so schnell „Bayerns intolerantesten Bürgermeister“ vergessen. Diesen Ruf hat sich Gärtner selbst eingebrockt und „kann damit leben“. Kein Tag vergeht, an dem Gärtner sich nicht rechtfertigen muß für seine Entscheidung gegen das Minarett. Die 1.800 Türken in Bobingen möchten gern eines errichten lassen. Bei ihrer Moschee, wo nebenan die Firma Hoechst Trevira produziert und die meisten Türken Schichtarbeit leisten. „Ohne Minarett ist unsere Moschee nur ein ganz normales Haus“, sagt Naçi Aca, der Vorsitzende der Bobinger Muslimgemeinde, „traurig“, daß die Freundschaft der Bobinger am Minarett endet. Eine Moschee ohne Minarett ist wie eine Kirche ohne Kirchturm, argumentieren Bobingens Türken, selbst Hartmut Gärtner versteht das. Aber „warum muß es denn ein 25 Meter hohes Minarett im türkischen Baustil sein?“ In Gedanken sieht er schon „ein Mekka für die Türken aus ganz Deutschland“ entstehen.

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Die meisten Lauinger sind katholisch. Trotzdem hat das Städtchen mit dem Puppenstubenflair und den freundlichen Bäckerinnen, mit zehn internationalen Zeitungen am Altstadtkiosk und dem Atomkraftwerk Grundremmingen im Rücken noch Platz gefunden für andere Religionen. Es gibt acht katholische Kirchen, eine evangelische, eine Gebetshaus der Zeugen Jehovas, eine neuapostolische Kirche – und bald eine Moschee mit Minarett ohne Muezzin. Der stellvertretende Bürgermeister Winkler (48), der im Hauptberuf als Grundschullehrer deutsche und türkische Kinder integriert, ist ganz entzückt: „Jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit in die Schule fahre, gucke ich auf die Moschee und fühle mich wie im Orient.“ Und wer herausfinden will, weshalb ein CSU-Bürgermeister nicht von Überfremdung, sondern von Bereicherung spricht, dem drückt Winklers Chef Barfuß ein Buch in die Hand: „Wege zum christlichen- islamischen Dialog“.

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Der Streit in Bobingen ist kein Krieg, wie die Bild-Zeitung es gern hätte. Er ist über die Monate kompliziert und absurd geworden. Die Protagonisten im Minarett-Boykott jonglieren mit Paragraphen und baurechtlichen Vorschriften, um vegessen zu machen, daß sie einach nur ja sagen könnten zum Gebetsturm auf schwäbischem Grund. Gemeinsam ist den Türken und dem Bürgermeister das Mißtrauen gegenüber Journalisten. Die schrieben immer das, was man gerade nicht gesagt habe. Bürgermeister Gärtner sitzt in seinem Büro und reibt sich ständig das Gesicht. Als täte ihm sein Minarett- Veto richtig weh. Dabei ist er es nur leid, sich immer wieder aus der Position des Sündenbocks herauszumanövrieren. Die ehemalige Gaststätte, die die Türken unauffällig zur Moschee renoviert haben, steht am Ende der Poststraße. Gärtner, der politische und konfessionelle Exot im schwarz-katholischen Bayern, zitiert das Baugesetzbuch. Ein Minarett füge sich nicht in die Silhouette schwäbischer Steildächer. „Wir würden auch keine ostfriesischen Reetdächer erlauben.“

Zur Mittagszeit versammeln sich fünf Männer der muslimischen Gemeinde in der Poststraße und ziehen vor dem Gebetsraum ihre Schuhe aus. Es ist noch ein bißchen zu früh für Mekka, so diskutieren sie. Über den Bürgermeister, der das Minarett aus „politischen Gründen“ nicht will. Und darüber – „bitte, schreiben Sie das“ –, daß sie Bobingen eine Moschee mit Minarett schenken wollten, „als Andenken an uns“.

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Hodscha Mustafa Aydos und Husametin Erentug können kaum noch richtig gucken. Ihre Augen sind rot gerändert. „Das ist die schönste Moschee außerhalb von Istanbul“, schmeichelt Erentug sich selbst. Er und Aydos malen in die vier Kuppeln der Lauinger Moschee Textstellen aus dem Koran, winzig kleine Schriftzeichen und bunte Blumen. Deutsche Bauarbeiter verputzen die Außenfassade, türkische Männer reichen ihnen schon mal einen Eimer. „Das wird unsere richtige zweite Heimat“, sagt Gemeindechef Aytan. Im Souterrain werden die Jugendlichen Billard und Tischtennis spielen. Zusammen mit deutschen Freunden, „das sowieso“, sagt Aytan.

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Die Pfarrer in Bobingen haben sich darauf geeinigt, kein Wort mehr fallen zu lassen zum Minarett-Konflikt. Die Buchhändlerin findet es „übertrieben“, wie eine „harmlose Sache hochstilisiert wird“. Eine Grafikerin, die seit zwölf Jahren in Bobingen lebt, kann sich nicht vorstellen, daß „ich in die Türkei gehe und eine katholische Kirche bauen lasse“. Zwei Gymnasiasten im Jugendhaus finden, „die Türken sind Gäste und müssen sich auch so benehmen“ – und Bürgermeister Gärtner hat bundesweit Freunde gefunden, die er nicht haben will: „Braune Post“ erhalte er fast täglich, aus Heidelberg und Hamburg, von Leuten, die ihm beipflichten. „Ekelhaft“, sagt Gärtner.

Die Bobinger Türken leben seit mehr als 30 Jahren in dem Ort, der letztes Jahr 1.000jähriges Bestehen gefeiert hat. Sie arbeiten bei Hoechst und zahlen Steuern, haben Döner-Imbisse und einmal im Jahr Tag der offenen Moschee- Tür. In der Festbroschüre, 120 Seiten „Leben und Wohnen in Bobingen“, steht nicht ein Satz über diese Bobinger. „Wir haben überhaupt keine Probleme mit den Türken in unserer Stadt“, sagt Gärtner. Eine Zeitlang hatte man sogar gefeilscht über die Minaretthöhe. Die Türken wollten 25 Meter, der Bürgermeister 20. Man einigte sich bei 23 Metern, dann kam Druck aus dem Stadtrat, und es waren nur noch 15 Meter drin. Jetzt redet niemand mehr über Turmhöhen. Die Moschee liegt dort, wo Bobingen aufhört und Hoechst beginnt, zwischen Maisfeld und Fabrikschlot. Das Argument, ein Minarett würde jedes Bobinger Dach überragen, „daß jeder Autofahrer in die Eisen tritt“ (Gärtner), nimmt keiner mehr ernst. Die Moschee liegt unter Bobinger Meeresspiegel, und der Hoechst-Fabrikturm daneben mißt 80 Meter.

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Die Toleranz der Lauinger, sagt Necati Aytan, „war viel größer, als wir anfangs erwartet hatten“. Bürgermeister Barfuß, in dessen Amtsräumen die deutschsprachige Ausgabe des Korans ausliegt, erinnert daran, daß die Stadt in den letzten 800 Jahren fünfmal die Konfession gewechselt hat: „Wir sind gläubig, aber nicht bigott.“ Stadtpfarrer Albert Bertz denkt da nicht anders. In Notfällen helfe man sich gegenseitig, und die türkischen Läden „werden wegen ihrer Spezialitäten auch gern von Deutschen aufgesucht“. Bei der Grundsteinlegung für die Hiçret-Moschee bat Bertz, „sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und vergangene Zwistigkeiten zwischen Christen und Muslimen beiseite zu lassen“. In Lauingen wohnen die meisten Türken in der Altstadt, erkennbar auch an den Satellitenschüsseln, in Bobingen am Stadtrand.

Das Minarett ist 26 Meter lang – und von fast jeder Gasse aus gut zu sehen.

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An seinen Nerven, sagt Bobingens Stadtoberhaupt Gärtner, zerrten nicht der Rechtsstreit, sondern die Medien. Immer dasselbe: „In Lauingen die Guten, in Bobigen die Bösen.“

Hartmut Gärtner möchte „den Fall gerne zum Ende bringen“. An seinen neuesten Kompromißvorschlag, von dem die Türken noch nichts wissen, glaubt er aber selbst nicht recht: Einverstanden wären der Bürgermeister und die Stadträte mit einem rechteckigen Minarett.

Bobingen befindet sich im kollektiven Mittagsschlaf, die Menschen sind wie weggezaubert. Nur eine Frau sitzt in ihrem Garten und pult Holunderbeeren von den Zweigen. Sie ist schwerhörig, hat tausend Falten im Gesicht und trägt eine geblümte Schürze. „Nehmen Sie doch Platz“, sagt sie und rückt auf der Holzbank zur Seite. Ach so, wegen der Türken sind Sie da, soll ich Ihnen was sagen? „Es ist doch ganz einfach. Die Türken brauchen zum Beten eine Moschee, die haben sie ja schon. Und jede Moschee braucht ein Minarett, das sollen sie kriegen.“

Die Frau ist 93 Jahre alt.