■ Ist die Weltfrauenbewegung in die Jahre gekommen?
: Post Peking Blues

Die Weltfrauenkonferenzen gelten als Gradmesser für den Stand der Frauenbewegung – und genau dazu ist bisher wenig gesagt worden. Passiert ist, was viele befürchtet haben: Das Thema China hat die Frauenthemen überlagert. Die kleinen Spitzeleien und großen Behinderungen durch die chinesischen ZivilbeamtInnen und die Proteste der Exiltibeterinnen machten die Schlagzeilen. Verkörpert wurde dieses Phänomen durch Hillary Clinton, die von ihrer Landsfrau, der feministischen Star-Veteranin Bella Abzug, für ihre Kritik an China gelobt wurde. Was hätten die JournalistInnen bloß ohne die Auseinandersetzung USA–China und ohne Superstar Hillary über die Konferenz schreiben sollen?

Der Konflikt mit China ist einfach und überschaubar – ganz im Gegensatz zur Situation von Frauen auf der Welt. Doch die Fixierung auf China hatte einen verheerenden Effekt: Still und heimlich bildete sich auf dem alternativen Frauenforum eine Solidarisierung der Frauen aus der Dritten Welt mit China heraus. Die Lateinamerikanerinnen kritisierten auf mehreren Treffen die Dominanz der US-amerikanischen Frauen auf der offiziellen und auf der alternativen Konferenz. Frauengruppen aus Asien arbeiteten eine überschwengliche Grußadresse an die chinesische Regierung für ihre Gastfreundschaft und gute Organisation aus.

Darin spiegeln sich wieder einmal weltpolitische Interessenswidersprüche direkt in der Position von Frauen. Doch nicht die Solidarisierung mit dem vermeintlich Schwächeren gegenüber der Dominanz der USA ist das Problem. Wirklich stutzig macht es, daß diese und andere unterschiedlichen Interessen nicht offen auf den Tisch kamen. Es hat noch keine Weltfrauenkonferenz gegeben, auf der sowenig gestritten und debattiert wurde, die sowenig leidenschaftlich war, wie diese.

Liegt das daran, daß die Frauenbewegung in die Jahre gekommen ist? Gibt es aneinander nichts wirklich Neues mehr zu entdecken? Mittlerweile weiß ja jede, daß es auch in Japan Lesben gibt. Mittlerweile haben weiße, europäische Feministinnen darüber nachgedacht, daß sie keinen Definitionsanspruch auf Feminismus haben. Und mittlerweile spielen afrikanische Bäuerinnen Armutsbekämpfung nicht mehr gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht aus. Zumindest nehmen sich das alle vor. Eigentlich eine gute Grundlage, um gemeinsam Politik zu machen.

Aber wie Politik machen? Diese Frage hätte zum eigentlichen Thema der alternativen Konferenz werden können – mit der Möglichkeit, direkt in die Politik der offiziellen Konferenz zu intervenieren. Denn es gab nie zuvor eine institutionell und politisch so ausdifferenzierte Frauenbewegung: Es gibt unabhängige feministische Gruppen und Projekte, Theoretikerinnen und Frauenforscherinnen, eingetragene Nicht-Regierungs-Organisationen, weltweite Frauen- Netzwerke sowie NGOs, die Zugang zur offiziellen Konferenz haben. Manche stehen in radikaler Opposition zu den Regierungen der offiziellen Konferenz und andere arbeiteten direkt mit ihnen zusammen. Diese Unterschiede wurden allerdings genauso wenig thematisiert wie die Frage, welche Funktion das Forum alternativer Gruppen haben sollte.

Die räumliche Trennung der beiden Konferenzen in Peking und Huairou zerriß die Frauenbewegung: Die Aktivistinnen in Huairou bekamen keine Informationen, und den Lobbyistinnen in Peking fehlte der radikale Druck der Basis. Doch es wäre zu leicht, alles auf die äußeren Umstände zu schieben. Genau wie beim China- Thema gärte die Unzufriedenheit im Untergrund, fanden kritische Fragen ihren Weg in die Frauen- Öffentlichkeit nicht. Eine dieser brennenden Fragen lautet: Haben die Lobbyistinnen die Frauenbewegung ersetzt? Darüber diskutierten erst am vorletzten Tag kleine Gruppen frustrierter Frauen in vollgeregneten Zelten. Auf ihrer Konferenz hatte die Frage keinen Platz. Jede konnte ihre Meinung darstellen, aber eine Bewertung der Gemeinsamkeiten und Widersprüche gab es nicht.

Eine zweite nicht gestellte Frage war die nach dem Geld. In Hunderten von workshops tauschten Frauen Tips über Finanzorganisationen oder Kreditmöglichkeiten aus. Doch heutzutage bekommt eine simple Frauengruppe kein Geld mehr, wenn sie nicht wenigstens NGO heißt oder besser noch an einem „Netzwerk“ beteiligt ist. So dienen die Organisationsformen der internationalen Frauenbewegung als Gradmesser für Kreditwürdigkeit und schaffen Konkurrenz. Aber Konkurrenz war schon gar kein Thema unter den Frauen.

Auch das kleinmütige Ziel für die Konferenz war leidenschaftlichen Diskussionen nicht gerade förderlich. Die Parole hieß: Den Backlash verhindern! Aber wer setzt sich schon gern für ein nicht bindendes UNO-Dokument ein, das im besten Fall keinen Rückschritt gegenüber früheren Dokumenten bedeutet?

Warum wurden diese und eine Reihe weiterer kontroverser Fragen nicht gestellt? Vielleicht wirkten sie einfach zu schwerwiegend und abwegig gegenüber dem Sog der größten UNO-Konferenz der Welt, gegenüber der effizienten Arbeit der Lobbyistinnen, die das Abschlußdokument oft kompetenter bewerten konnten als die Regierungsdelegationen und deshalb gerne von ihnen zu Rate gezogen wurden. Vielleicht sollte auch der Mythos, der dort ins Wanken geriet, nicht völlig demontiert werden – der kurzlebige Mythos, daß nach dem Ende des Kalten Krieges der Zugang für Frauen zur obersten internationalen Entscheidungsebene so günstig ist wie nie.

In den Zelten des Forums entstand ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Lobby-Frauen mit Zugang zu den klimatisierten Konferenzsälen in Peking. „Ich weiß ja noch nicht einmal genau, wie das Parlament in meinem Land funktioniert, aber diese UNO kommt mir vor wie ein übermächtiger Vater Staat“, meinte eine Uruguayerin. Da die meisten Lobbyistinnen aus den USA kommen, verstärkte sich das Gefühl der Dritte- Welt-Frauen immer weiter, keine Stimme zu haben. Viele von ihnen meinten, ihre kontinentalen Treffen seien weitaus ergiebiger gewesen. In Lateinamerika wird schon seit einigen Jahren diskutiert, die großen, allgemeinen Frauentreffen durch kleinere und themenbezogene zu ersetzen: Umwelt, Kultur, Gewalt, Wirtschaft, Recht.

„Die Welt mit den Augen von Frauen sehen“ – so hieß das Motto der alternativen Frauenkonferenz draußen vor den Toren Pekings. Eine kleine, unerwartete Nachwirkung davon ergibt sich beim Nachhausekommen: Nach dem tagelangen Zusammensein mit Zehntausenden von Frauen muten Männer hier wie fremde Wesen an, die ganz so tun, als ob ihnen die Welt gehört. Karin Gabbert